taz.de -- Kommentar CDU und Mindestlohn: Ein Kompromiss mit Hintertüren
Die schnelle Realisierung des Mindestlohns ist gar nicht Merkels Ziel. Ihr geht es vor allem um Diskurshoheit und um die taktische Positionierung vor der Wahl 2013.
Der Parteivorsitzenden der CDU ist wieder einmal ein machttaktisches Kunststück gelungen. Kurz vor dem Parteitag entschärfte sie den Mindestlohn-Streit ihrer Partei, der beträchtliche Sprengkraft hatte. Der Arbeitnehmerflügel, angeführt von der CDA, machte sich für einen an die Zeitarbeit angelehnten Mindestlohn stark, während der Wirtschaftsflügel solch sozialistische Anwandlungen stoppen wollte. Wenn diese Positionen in Leipzig ungebremst aufeinander geprallt wären, hätte dies das Bild der in sich ruhenden, geschlossen agierenden Volkspartei empfindlich beschädigt. Und ein Linksrutsch wäre gar nicht so unwahrscheinlich gewesen - denn Niedrigstlöhne empören viele Mitglieder an der Basis.
Angela Merkel hat diesen Konflikt so aufgelöst, wie es ihre Art ist: Mit einer schwammigen Einigung in der Mitte, bei der sich aber alle Seiten irgendwie als Sieger fühlen können. Das bereitete sie vergangene Woche vor: Sie hat sich einerseits zu einer allgemeinen, verbindlichen Lohnuntergrenze in tariflosen Bereichen bekannt, gleichzeitig aber auf Differenzierungen gedrängt. Deshalb kann der Wirtschaftsflügel jetzt darauf pochen, dass der Staat nicht in die Tarifautonomie reinredet, während die Arbeitnehmerfreunde loben, dass in tariflosen Branchen ein verbindlicher Lohn kommen soll.
Ist der Kompromiss also ein echter Schritt nach vorne? Ach was. Dieser kleinste gemeinsame Nenner beendet weder Lohndrückerei, noch hebt er alle Löhne in Deutschlands über das Existenzminimum. Denn die weiche Formel lässt viele Probleme außen vor. Und es sind so viele Hintertüren eingebaut, dass völlig unklar ist, wie sie sich in der Realität auswirken würde. Was passiert mit der Friseurin, die per Tarifvertrag nur 5 Euro die Stunde verdient? Was, wenn sich die Kommission nicht einigt? Wie viele verschiedene Lohngrenzen soll es geben? All diese Fragen lässt der Kompromiss offen, übrigens ganz bewusst.
Denn eine schnelle Realisierung ist nicht Merkels Ziel, zumindest nicht ihr Wichtigstes. Da wäre schon die FDP vor, die keine weitere Demütigung schlucken will. Merkel geht es um Diskurshoheit und die taktische Positionierung mit Blick auf die Wahl 2013. Christdemokraten, die den Mindestlohn zumindest in Bruchstücken debattieren, machen dem politischen Gegner ein Thema streitig, ebenso bedienen sie mit einer sozialeren Anmutung den gesellschaftlichen Trend.
Sogar die FDP profitiert von dem Möchtegern-Mindestlohn der CDU. Sie kann sich als letzte Verteidigerin der freien Marktwirtschaft gerieren, indem sie einfach laut Nein ruft. So sieht eine Win-Win-Situation aus.
14 Nov 2011
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