taz.de -- Ökonomin über Spaniens Wirtschaft: "Es gibt keine Atempause"
"Völlig pervertiert" findet die spanische Ökonomin Aurèlia Mañé Estrada den wirtschaftspolitischen Diskurs der Politik. Den Spekulanten sei egal, wer regiert.
taz: Frau Mañé Estrada, obwohl die Proteste gegen die Kürzungen stärker werden, hat die konservative Partido Popular (PP) mit absoluter Mehrheit gewonnen. Die PP steht für eine noch härtere Sozial- und Wirtschaftspolitik. Wie erklären Sie das?
Aurèlia Mañé Estrada: Die gleiche Frage habe ich mir heute Morgen auch gestellt. Wer das Wahlergebnis genauer anschaut, der sieht, dass die Konservativen die Wahlen gewonnen haben, obwohl sie kaum mehr Stimmen bekommen haben als bei anderen Wahlen. Die Wähler sind vor allem den Sozialisten davongelaufen, weil sie über die Krisenpolitik verärgert waren.
In Sachen Kürzungen wird sich nichts ändern. Die PP wird diese Politik eher noch verschärfen. Zumindest ist das in den Regionen so, wo sie bereits regiert.
Der wirtschaftspolitische Diskurs der großen Parteien hat sich in den letzten Jahren völlig pervertiert. "Wir können uns das einfach nicht leisten", lautet die Begründung für die Kürzungen. Die Wähler glauben das. Dabei ist dies völlig falsch. Das Bruttoinlandsprodukt hat sich in den letzten 20 Jahren verfünffacht, bei einem Bevölkerungswachstum von nur 5 Prozent. Statt: "Wir können uns das nicht leisten", muss es heißen: "Wir wollen nicht teilen." Das eigentliche Problem ist die Steuerpolitik. In den letzten Jahren haben die Regierungen immer weniger Steuern erhoben. Nicht die Ausgaben sind zu hoch, die Einnahmen sind zu niedrig.
Wahlsieger Rajoy hofft, dass ihm die Märkte "mehr als eine halbe Stunde Atempause" zugestehen.
Viele Wähler hoffen das auch. Sie glauben, dass die Finanzmärkte mit einer rechten Regierung vorsichtiger umgehen werden, und haben deshalb Rajoy gewählt. Doch die neue Regierung wird keine Atempause eingeräumt bekommen. Das Geld kennt keine parteipolitischen Farben. Wenn die Märkte sich Gewinn versprechen, spekulieren sie weiter. Die Risikoaufschläge bei den Staatsanleihen sind ein gutes Geschäft. Sobald die Märkte eine Regierung unter Druck setzen können, um die Rentabilität der Anleihen zu steigern, tun sie das, egal ob die Regierung von der Linken oder der Rechten gestellt wird. Was wir in Europa erleben, sind waschechte Staatsstreiche der Märkte. Die Politik hat nichts mehr zu sagen.
Rajoy hat die Wahlen gewonnen, ohne auch nur ein Wort über sein künftiges Regierungsprogramm zu verlieren. Was kommt auf Spanien zu?
Weitere Kürzungen und Rezession.
Spanien spart sich also tot?
Ja. Gestern beschäftigte sich der englische Guardian mit dem Thema. Der Autor meint, wir könnten die paradoxe Situation erleben, dass die Situation den Sozialisten Zapatero zu einer neoliberalen Politik gezwungen hat, während der konservative Rajoy eine neokeynesianische Richtung einschlagen muss.
Glauben Sie wirklich an einen Wandel vom Sparen weg und hin zu öffentlichen Investitionen, um die Wirtschaft anzukurbeln?
Ich kann mir das nicht vorstellen. Aber als einfache Bürgerin hoffe ich natürlich, dass dies eintritt.
21 Nov 2011
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