taz.de -- Serie Digitale Spiele, Teil 1: Raymans virtuelle Ode an das Chaos

"Rayman Origins" ist nicht irgendein Computerspiel. Das neue Abenteuer zelebriert das Chaos und die guten, alten Zeiten klassischer Jump & Run-Spiele.
Bild: Szene aus "Rayman Origins".

Was macht noch mehr Spaß als spielen? Gemeinsam mit anderen spielen. Das meint auch Spieldesigner Michel Ancel und verpasst seinem Helden Rayman ein neues Abenteuer, das die Generationen vor dem Bildschirm vereinen soll.

"Rayman Origins" ist ein klassisches Plattformspiel, bei dem der Spieler durch über 60 bunte Levels hüpft, klettert und hangelt und es nebenbei mit Gegnern aufnimmt. Das gute, alte Spielprinzip erscheint natürlich in traditioneller Optik. Während andere Gamstudios immer spektakulärere Effekte und bombastische 3D-Optik bieten, hat Ancels Team auf Zeichentrickfilm-Look in 2D gesetzt, mit viel Liebe zum Detail. "Heutzutage wirkt diese Art von Spielen wieder irgendwie frisch", meint Ancel.

Das stimmt. Vor allem, da "Rayman Origins" trotz aller Traditionen so herrlich wild und chaotisch, zuweilen sogar albern wirkt. Das sind normalerweise Eigenschaften, die bei Videospielen wenig gut ankommen. Weil sie meist unfreiwillig durch schlechtes Spieldesign entstehen und keine richtig gute Atmosphäre aufkommen lassen.

Anders bei Rayman: hier herrscht auf dem Screen das reinste Chaos und die eingestreuten Gags mit den rund 100 kuriosen Figuren sind richtig kindisch. Mit Absicht. Und das funktioniert.

Arm- und beinlose Figur

Wenn Rayman durch die kunterbunten und phantasievollen Levels hüpft, geht auf dem Bildschirm die Post ab. Er schwingt an Lianen, reitet auf Insekten, springt über Würstchen und Muffins. Gleichzeitig tauchen überall skurrile Gegner auf, Klötzchen aus dem Spiel Tetris fallen vom Himmel, Chili-Schoten speien Feuer, Piratenschiffe segeln am Himmel.

Dazu ertönen schräge Sounds. Hier herrscht pure Anarchie. Manchmal bekommt der Spieler beim Hüpfen, Hangeln und Kämpfen nicht alles Kuriose mit, was da in Dschungel, Wüste und Eiswelt passiert, aber dennoch behält er stets den Überblick über das Geschehen. Selbst wenn vier Freunde gleichzeitig ihre Figuren steuern und das Chaos auf dem Screen somit perfekt machen.

Als Ancel die arm- und beinlose Figur erfunden hat, war er 16 Jahre alt. Über 15 Jahre nach Erscheinen des ersten Abenteuers "ist Rayman immer noch der Alte", sagt Ancel. "Rayman ist kein einzelner, einsamer Charakter, der allein die Welt rettet. Seine Freunde sind genauso wichtig wie er". So kommen Globox und die Kleinlinge auch dieses Mal wieder ins Spiel und können zusammen mit Rayman über den Bildschirm dirigiert werden.

"Keine Frage der Generationen"

Auch wenn es darum geht, wer in einem Level die meisten Punkte erlangt, die meisten Gegner bekämpft und Extras gesammelt hat, spielen hier die Teilnehmer nicht gegen-, sondern miteinander. "Gemeinsam Spaß haben ist ein wichtiger Aspekt bei meinen Spielen. Ebenso wie das Thema Freundschaft", sagt Ancel. "Denn die meiste Zeit verbringt man mit anderen. Das ist auch keine Frage der Generationen".

Geht es auf dem Bildschirm turbulent zu, dann meist auch davor. Wenn die Spieler während der Ladezeit die Figur des anderen herum schubsen oder einer dem anderen soeben alle Extras weggeschnappt hat, bricht oft auch auf dem Sofa fröhliches Gerangel aus.

Ancel wollte unerfahrene Spieler mit alten Gamer-Hasen zusammenbringen, Kinder mit Älteren: "Also haben wir überall Sachen in die Levels gepackt, sie vollgestopft, damit alle etwas zu tun haben. Erfahrene Spieler machen die schwierigen Sachen, andere leichte." Er meint, dabei könne sogar jeder etwas lernen: mit anderen zusammen zu arbeiten, Erfahrungen teilen. Darauf ist Ancel besonders stolz.

Schon seit Jahren boomt das gemeinsame Spielerlebnis. Allerdings in der Vergangenheit meist in Form von Austragungen im Internet. So saß bei Multiplayer-Spielen meist doch jeder allein zu Hause. Bei den zahlreichen Tanz, Karaoke- und Bewegungsspielen kamen dann nach langer Zeit wieder die Menschen vor einer Konsole zusammen. Aber klassische Titel für echte Gamer, die man gemeinsam vor einem Bildschirm genießen kann, wurden außerhalb von Sport- und Partyspielen immer rarer.

Doch passend zur Weihnachtssaison erscheinen nun neben "Rayman Origins" immer mehr Spiele für gemeinsame, lange Winterabende. Wie etwa der neue Teil der "Ratchet & Clank"-Reihe. Ancel meint: "Manchmal vergisst man, dass man andere Menschen mit im Haus hat". Er findet, dass man mehr mit Freunden und Familie spielen sollte als mit fremden Menschen weit weg im Internet.

7 Dec 2011

AUTOREN

Ernst

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