taz.de -- Ex-Verfassungsrichter zum NPD-Verbot: "V-Leute werden überschätzt"

Grundlage für ein NPD-Verbot ist die Frage, ob die NPD eine Gefahr für dass Gemeinwesen ist, sagt Siegfried Broß. Er ist einer der drei Verfassungsrichter, die das Verbot 2003 platzen ließen.
Bild: "Eine Partei ist zu verbieten, wenn sie ,eine kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung' einnimmt."

taz: Herr Broß, müssen beim zweiten Anlauf für ein NPD-Verbot tatsächlich alle V-Leute in der Partei abgeschaltet werden?

Siegfried Broß: Nein, so eine Forderung ist völlig unbegründet und kann sich auch nicht auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2003 berufen. Uns ging es damals nur um die Führungsebene, also den Bundesvorstand und die Landesvorstände.

Und warum müssen diese V-Leute im Verbotsverfahren abgeschaltet werden?

In einer Situation, die für eine Partei existenzbedrohend ist, muss zumindest deren Spitze staatsfrei sein. Es ist nicht rechtsstaatlich, wenn wichtige Politiker einer Partei, die verboten werden soll, zugleich als Informanten für den Staat arbeiten.

Wenn der Staat aber verspricht, die V-Leute nicht nach der Prozesstaktik der Partei zu fragen?

Von solchen Versprechen halte ich wenig. Wer soll sie nachprüfen? Außerdem geht es nicht nur um eine Ausforschung der Verteidigungsstrategie, es geht vor allem um doppelte Loyalitäten, die die Partei in einer existenziellen Phase schwächen.

Ab wann müssten V-Leute abgeschaltet werden?

Spätestens wenn offiziell angekündigt wird, dass ein Verbotsantrag gestellt werden soll, zum Beispiel wenn die Bundesregierung oder die Innenministerkonferenz einen entsprechenden Beschluss fasst.

Im Einstellungsbeschluss heißt es, dass diese Anforderungen nur im Regelfall gelten. Was ist die Ausnahme?

Wenn unter dem Deckmantel der Partei schwere Straftaten vorbereitet werden. Eine solche Situation konnte ich aber damals nicht erkennen, und sie liegt wohl auch heute nicht vor.

Müssen erst weitere Verbrechen geschehen?

Nochmals: Es hat niemand gesagt, dass der Staat alle V-Leute in der NPD abschalten muss. Und er kann ja auch seine Informanten bei den Freien Kameradschaften weiter nutzen. Ich frage mich nur, warum so stur an den V-Leuten festgehalten wird. Wo ist denn der Ertrag dieser Spitzel? Wenn die V-Leute so nützlich sind, warum hat dann der Verfassungsschutz von der Neonazi-Mordserie überhaupt nichts mitbekommen? Man sollte langsam einsehen, dass die V-Leute überschätzt werden.

Es gab noch einen zweiten Punkt, der 2003 zu einem Verfahrenshindernis wurde.

Ja. Dabei geht es um den Inhalt der Verbotsanträge. Wir haben gefordert, dass die Gefährlichkeit der NPD nicht mit Aussagen von NPD-Politikern belegt werden soll, die zugleich als V-Mann gearbeitet haben. Da weiß man am Ende ja nicht, ob man solche Äußerungen der Partei oder dem Staat zurechnen soll.

Gehen Sie davon aus, dass der Staat die NPD über seine V-Leute gesteuert hat?

Nein. Es gab sicher keine strategische Steuerung der NPD, dazu agierten die verschiedenen Verfassungsschutzämter ja auch viel zu unkoordiniert mit ihren jeweiligen V-Leuten. Aber wenn ein NPD-Politiker, der sich in Interviews eher unbeholfen ausdrückt, plötzlich ein Buch schreibt, dann kommt man schon ins Grübeln, wer ihm da die Feder geführt hat.

Im Beschluss von 2003 heißt es, dass V-Leute "in unerheblichem Umfang" doch zitiert werden dürfen. Wo ist die Grenze?

Wenn ein Zitat nicht zu den tragenden Gründen des Verbotsantrags gehört, sondern nur kolorierenden Charakter hat, bleibt dies möglich. Dann muss allerdings auch im Antrag offengelegt werden, dass hier ein V-Mann zitiert wurde. Wenn man das nicht will, um den Mann zu schützen, dann muss man eben auf das Zitat verzichten.

Dürfen also überhaupt keine tragenden Informationen im Verbotsantrag aus V-Mann-Berichten stammen?

Nein, das wäre ein großes Missverständnis. Was der V-Mann von anderen NPDlern gesehen und gehört hat, kann verwendet werden. Nur was der V-Mann als NPD-Politiker selbst gesagt hat, ist problematisch.

Gelten diese Regeln heute noch?

Formal haben diese Regeln keine Gesetzeskraft, weil es nur ein Verfahrensbeschluss war. Auch ist der Zweite Senat inzwischen weitgehend anders zusammengesetzt. Aber da wir diese Vorgaben für ein faires Verfahren direkt aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet haben, sollten sie auch heute noch überzeugen können.

Sie würden der Politik also raten, sich an die damaligen Anforderungen zu halten?

Ja, ganz formal und für alle transparent, ohne Spielraum für Interpretationen, Ausflüchte und Hintertürchen. Dann ist sie auf der sicheren Seite.

In der Bundesregierung gab es schon einmal Pläne, das Verfahren für ein Parteiverbot zu ändern. Statt einer Zweidrittelmehrheit unter den Richtern würde dann eine einfache genügen. Eine gute Idee?

Nein. Ich halte es für indiskutabel, an der Zweidrittelmehrheit zu rütteln. Das erhöhte Quorum wird der vom Grundgesetz bestimmten Bedeutung eines Parteiverbots optimal gerecht.

Bisher sprachen wir nur über das Verfahren. Was aber ist der inhaltliche Maßstab für ein Parteiverbot?

Laut Grundgesetz können Parteien verboten werden, wenn sie oder ihre Anhänger "darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen". Geschützt sind also die Grundregeln von Demokratie und Rechtsstaat, einschließlich der Menschenrechte. Eine Partei ist zu verbieten, wenn sie ,eine kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung' einnimmt, so das Bundesverfassungsgericht in den fünfziger Jahren.

Kommt es auf die Anwendung von Gewalt an?

Nein, auch eine kämpferische Agitation genügt bereits.

Nun war ein NPD-Funktionär sogar in die Mordserie der NSU-Neonazis verwickelt. Erleichtert das ein Parteiverbot?

Zunächst ist der Fall strafrechtlich auszuermitteln. Aber die Straftat eines einzelnen Funktionärs dürfte qualitativ keinen großen Unterschied machen. Beim Parteiverbot geht es um die Frage, ob die Partei und ihre Anhänger insgesamt eine Gefahr für das Gemeinwesen darstellen.

Muss eine konkrete Gefahr vorliegen?

Nein, denn dann könnte es vielleicht schon zu spät sein. Für ein Parteiverbot genügt eine abstrakte Gefahr, das heißt, dass das Handeln der Partei bei ungehindertem Fortgang irgendwann ins Unglück führen kann.

7 Dec 2011

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Christian Rath

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