taz.de -- taz-Serie: Grenzen des Wachstums: Immer höher, schneller, weiter?
Die Wirtschaft soll immer weiter wachsen. Doch wo sind die Grenzen des Wachstums? Was passiert, wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst?
BERLIN taz | Das Unwohlsein an unserem Wirtschaftsmodell wächst, und das nicht erst seit Ausbruch der Finanzkrise. Skepsis über eine Wirtschaft, die auf Teufel komm raus immer weiterwachsen muss, wird in den unterschiedlichsten Lagern laut, von Umwelt- und Klimaschützern bis hin zu radikalen Kapitalismuskritikern - und zuletzt sogar von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).
"So sehr wir uns für die Beseitigung des Hungers überall in der Welt einsetzen müssen, so sehr sollten wir uns andererseits in unseren eigenen westlichen Ländern für eine Begrenzung des Wirtschaftswachstums einsetzen", schreibt er in einem Gastbeitrag für Christ & Welt.
Seit der Club of Rome 1972 seinen Report "Die Grenzen des Wachstums" vorstellte, ist eigentlich bekannt, dass ein unendliches und exponentielles Wachstum auf einem endlichen Planeten nicht funktionieren kann. Die Frage ist nicht mehr, ob es Grenzen gibt, sondern eigentlich doch nur, wann sie erreicht werden und an welcher Stelle.
Aus dieser Überlegung heraus entstand die Forderung nach einem qualitativen statt nur quantitativem Wachstum - in jüngerer Zeit ergänzt oder teilweise ersetzt durch die Forderung nach einem grünen Wachstum. So etwa nach der Logik: Wachstum durch Investitionen in Kohlekraftwerke und Luxus-Shopping-Malls ist schlecht, Wachstum durch Investitionen in erneuerbare Energien und Bildungseinrichtungen gut.
Ob dies aber das Problem der Begrenztheit zu lösen vermag, daran bestehen Zweifel. "Mir kommt die Forderung nach qualitativem Wachstum wie ein Schleier vor, der verdeckt, dass es eigentlich doch so ähnlich weitergehen soll wie bisher", meint der Wachstumsforscher Matthias Schmelzer. "Nehmen wir den ökologischen Rucksack von Gütern, die im Ausland produziert werden, während wir hier auf Dienstleistungen machen. Unser CO2-Ausstoß erscheint dann niedrig, aber dafür ist er anderswo umso höher."
Muss die Wirtschaft stetig weiterwachsen?
Warum aber muss die Wirtschaft überhaupt stetig weiterwachsen? Eine Antwort: weil in einer kapitalistischen Wirtschaft der Kapitalgeber Zinsen erwartet. Wo 100 Euro in den Produktionsprozess eingespeist wurden, müssen für eine Rendite von 5 Prozent hinterher 105 Euro rauskommen - schon ist eine Wachstumsspirale in Gang gesetzt. Eine andere Antwort: weil Stagnation oder Schrumpfung mit Krise gleichzusetzen ist, mit Arbeitslosigkeit und Schulden.
An diese Überlegungen knüpfen viele der Wachstumsskeptiker an. Einige von ihnen, wie Hans-Christoph Binswanger oder Joseph Huber, halten ein gewisses Wachstum für notwendig, um Krisen und Verelendung zu vermeiden. Es müsse aber verlangsamt werden, etwa indem das Wachstum der Geldmenge und damit des Kredits begrenzt wird.
Andere fordern einen völligen Wachstumsstopp, um einen Gleichgewichtszustand zu erreichen - so etwa Tim Jackson, Herman Daly oder in Deutschland Niko Paech. Umverteilung der vorhandenen Arbeit, mehr Zeitautonomie und eine neue Konsumkultur sind wesentliche Bestandteile dieser Theorien.
Während dergleichen bald zum ökonomischen Mainstream werden könnte, wird es mit darüber hinausgehenden Ansätzen schwieriger. Das zeigt schon die Tatsache, dass es im Deutschen bislang kein vernünftiges Wort dafür gibt: Wachstumsrücknahme ist eine schlappe Annäherungen an das, was im Englischen mit Degrowth und im Französischen mit dem Begriff Décroissance schon eine etablierte Marke ist - insbesondere dank dem Pariser Professor Serge Latouche.
Die radikalste der wachstumskritischen Positionen ist jedoch auch die umstrittenste. "Die Beantwortung der Frage, ob und wie eine Demokratie bei schrumpfender Wirtschaft funktionieren könnte, erfordert weitere Forschung", formuliert es vorsichtig das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Und dem Italiener Massimo Maggini erscheint das "Entwachstum" nur bei Überwindung des Kapitalismus sinnvoll.
Denn eine wirtschaftliche Schrumpfung bei gleichzeitiger Beibehaltung der kapitalistischen Wirtschaftsweise wäre eine Katastrophe, sagt Maggini, "eine Arbeitsgesellschaft ohne Arbeit und eine Wachstumsgesellschaft, in der das Wachstum ausbleibt".
26 Dec 2011
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