taz.de -- Film "The Artist": Eine wahre Räuberpistole

Der Film "The Artist" schöpft alle Strategien des stummen Erzählens aus. Dabei erzählt er vom Kampf gegen die Zeichen der Zeit und dem Körper als Spektakel.
Bild: Jean Dujardin und Berenice Bejo können bei zehn Oscar-Nominierungen sicherlich mit mindestens einem Oscar rechnen.

Natürlich denkt man bei dem Namen George Valentin (Jean Dujardin) erst einmal an den größten Mädchenherzenbrecher des stummen Hollywoodkinos, Rudolph Valentino. Dabei erinnert der große Stummfilmstar aus Michel Hazanavicius' "The Artist", nun auch offiziell ein zentraler Oscar-Kandidat, viel eher an Douglas Fairbanks Sr., dem er nicht nur bis ins triumphal aufblitzende Lachen hinein wie aus dem Gesicht geschnitten scheint.

Auch teilt er dessen athletischen Begriff vom Kino, wie gleich der Filmbeginn kenntlich macht: Da rettet sich Valentin in einer wahren Räuberpistole von einem Film im Film aus einer haarsträubenden Situation auf so abenteuerliche Weise, dass sie uns, dem Publikum im Kino, im Umschnitt auf die ungläubig jubelnden Zuschauer im Film glatt vorenthalten wird.

Ein weiterer Aspekt verbindet die Filmfigur George Valentin mit Fairbanks: Die Einführung des Tonfilms, 1929, ist zu beiden nicht gut. Der hyperagile Fairbanks steuerte gemächlich in die künstlerische Bedeutungslosigkeit, George Valentin hingegen binnen kürzester Zeit geradewegs in den existenziellen Ruin.

Während Peppy Miller (Bérénice Bejo), eine Valentin-Verehrerin, die über einen kecken Zufall in Valentins Leben und von da aus ins Kino rutscht, nicht nur zum Star, sondern mit ihrem scheuen Blick und ihrer grazilen Schönheit auch zu einem neuen Startypus aufsteigt, der weit eher zu den unbeweglichen Tonfilmkameras als zur nervösen Ekstase des späten Stummfilms passt, stemmt sich Valentin in einem letzten Kraftakt, einem letzten, selbst finanzierten Stummfilm, gegen die Zeichen der Zeit - vergebens.

Hommage ans große Stummfilmkino

Doch obsiegt nicht nur die Liebe, sondern auch die dialektische Synthese in Form des stepptanzschuhklackernden Musicals, dem genuinen Tonfilm-Genre, das zugleich die triumphale Rückkehr des Körpers als Spektakel eigenen Rechts in der Filmgeschichte markiert.

Mit der postmodernen Verdichtung von Filmkonzepten vergangener Tage haben Michel Hazanavicius und sein Hauptdarsteller Jean Dujardin durchaus Erfahrung: In bislang zwei "OSS117"-Filmen plünderten sich die beiden mit James-Bond-Brille auf der Nase durch den Fundus des französischen Agentenfilms der 60er Jahre.

Krankten diese noch teils am klamottigen Humor, ist "The Artist" nun, nicht zuletzt dank großzügiger Hilfestellung aus den USA von Produzent Harvey Weinstein, eine ästhetisch souverän gemeisterte, stimmige Hommage an das große Stummfilmkino. Das zur Meisterschaft gereifte Repertoire an narrativen Strategien zumindest des späten Hollywood-Kinos der Stummfilmzeit schöpft "The Artist" dabei konsequent aus.

Ein Bilderfilm, der seinen Reiz aus der Beschaffenheit der Welt bezieht

Ein Bilderfilm im schönsten Schwarz-Weiß, der seinen Reiz nicht zuletzt aus dem Spiel mit der Beschaffenheit von Valentins und Peppys Welt bezieht: Dass diese wirklich im Gesamten stumm sein könnte, daran lässt zumindest Valentins Albtraum denken, der ihn unversehens in eine Welt grotesk verstärkter, an den Nerven reißender Geräusche wirft, ohne dass Valentin nach Hilfe schreien könnte.

Sicher, Erzählfluss und Schnittabfolge, Kameraarbeit und Schnittfrequenz weisen den Film letztendlich doch als sehr heutige Annäherung ans späte Stummfilmkino aus. Doch als enzyklopädisches Archiv der elaborierten Erzähltechniken dieser Phase, als kluge Narrativisierung der Körperpolitik und -techniken des frühen klassischen Hollywood überspielt dies "The Artist" glatt. Und selbst wenn man wenig auf den Award-Zirkus um Golden Globes und Oscar gibt: Sollte "The Artist" am Ende tatsächlich hochdekoriert aus diesem Wettbewerb hervorgehen, so wäre dies die schlechteste Entscheidung der Academy nicht.

26 Jan 2012

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Groh

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