taz.de -- Kommentar "Safer Internet Day": Internetausdrucker unter sich
Wieder ist "Safer Internet Day". Und wieder stellt sich die Frage, was dieser Tag aussagen soll. Seine wahre Bestimmung steht ihm erst noch bevor.
Angst ist kein guter Berater. Schaut man sich die Programme zum "Safer Internet Day (SID)" der vergangenen Jahre an, so wird deutlich, dass diese Erkenntnis mittlerweile auch die Initiatoren jener Veranstaltung erreicht hat, die am 7. Februar in großen Teilen der Welt stattfindet und die Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Netz schützen soll.
In Europa ist die EU an der Finanzierung, Planung und Durchführung beteiligt. [1][Auch aus ihren Erklärungen] spricht das informelle Motto "Aufklärung statt Angst". Statt wie über Jahre hinweg schlichte Warnungen zu formulieren sowie mehr Kontrolle zu fordern, steht nun ein anderer Ansatz im Mittelpunkt: Gespräche mit Kindern über ihre Online-Aktivität und die Förderung ihrer Kreativität im Umgang mit dem Netz haben die üblichen Vorschläge auf die hinteren Plätze verwiesen: mehr Regeln, Vorschriften und Grenzen, Kontrollprogramme der Eltern etc.
[2]["Mehr Verantwortung im Netz"] lautet der Titel der prominentesten Veranstaltung zum deutschen "Safer Internet Day"; in einer Berliner Schule diskutiert Bundesfamilienministerin Kristina Schröder mit staatlichen Medienfunktionären, Pädagogen und TV-Größen, Eltern und Kinder sollen mitreden dürfen. [3][Zig weitere Veranstaltungen in ganz Deutschland] sind angekündigt. Von Polizeidienststellen über Datenschutzbeauftragte bis hin zu Schulleitungen und Kirchen macht so gut wie jeder mit, der zum Thema meint etwas sagen zu können.
Der überwiegende Teil dieser Veranstaltungen ist sinnvoll, weil er die Diskussion darüber in Gang bringt oder hält, was Kinder und Jugendliche im Netz erwartet und wie sie sich dort verhalten können: von der Kommunikation (Chat, Online-Netzwerke) über Netzinhalte (Spiele, Gewalt, Pornos) bis hin zu rechtlichen Bestimmungen (Impressum, Datenschutz, Urheberrecht).
Überforderte Eltern
Der "Safer Internet Day" richtet sich vornehmlich an Kinder und Jugendliche, erreicht jenseits der schulischen Veranstaltungen an diesem Tag aber fast nur Eltern, Pädagogen und Institutionen. In Deutschland kann man sagen, dass dieses Missverhältnis gleichzeitig ein Glücksfall ist.
Noch immer ist die Auseinandersetzung von Eltern, Erziehern und Bildungseinrichtungen mit den digitalen Welten, in denen viele Kinder selbstverständlich aufwachsen, nur in Ansätzen vorhanden. So mancher Computerraum deutscher Schulen zeigt das in aller geballten Grausamkeit.
Politiker und Ministerialbeamte, die sich ihre Vorbereitungsmaterialien für Netzsicherheitsdebatten von Mitarbeitern ausdrucken lassen, treffen am "Safer Internet Day" also auf Eltern, die sich untereinander gern über die Gefahr jener digitalen Spiele austauschen, die ihre Kinder längst auf dem Schulflohmarkt verkauft hätten, wenn es denn dort noch Abnehmer gäbe.
Der Glücksfall besteht darin, dass zumindest eine wachsende Anzahl der Beteiligten auf solchen Veranstaltungen schnell begreift, dass sie selbst – und eben nicht Kinder und Jugendliche – ein nicht unerheblicher Teil des Problems sind, zu dessen Lösung sie zusammengekommen sind.
ACTA und Vorratsdatenspeicherung
Ein anderes dieser Probleme wurde hingegen noch gar nicht angegangen und wird auch beim diesjährigen "Safer Internet Day" naturgemäß ausgespart. Denn der Begriff der Netzsicherheit wird von den Veranstaltern, aller thematischen Vielfalt zum Trotz, sehr eng gefasst: von Abzocke im Internet über Cybermobbing und Suchmaschinen bis zu Tauschbörsen kann zwar über alles gesprochen werden. Doch so gut wie nie wird der Diskurs die Ebene der Nutzer verlassen und jene der Macht erreichen.
Anders gesagt: Die deutsche Regierung entsendet medienwirksam ihre Bundesfamilienministerin, um über Netzsicherheit zu sprechen. Gleichzeitig hält – von derselben Regierung befeuert – die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung an: Dabei geht es um von staatlichen Stellen ohne Anlass personenbezogene Daten, die jedem Datenschutz und jeder Datensicherheit zuwiderlaufen, die die Namen wert wären.
Die EU, in Europa Schirmherrin des "Safer Internet Day", drängt derweil die nationalen Regierungen zur Unterzeichnung bzw. Ratifizierung des Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA), einem Abkommen also, [4][das geeignet sein könnte, geltendes EU-Recht zu umgehen.] Partielle Netzsperren könnten so weltweit durchgesetzt werden, eine neue Unsicherheit im Netz wäre die Folge. Angst ist ein schlechter Berater. Der "Safer Internet Day" kann nur besser werden.
7 Feb 2012
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