taz.de -- Cole Stryker über Anonymous: „Spaßmacher, die beschämen wollen“

Anonymous sorgt weltweit für Schlagzeilen. Die Ursprünge liegen in der Website 4Chan.org. Der Autor Cole Stryker über Meme, „Hacktivisten“ und epische Siege.
Bild: In die echte Welt übergeschwappt: protestierender Anonymous-Aktivist.

taz.de: Anonymous hat seine Ursprünge auf 4Chan.org. Können Sie die Webseite beschreiben?

Cole Stryker: 4chan ist ein Imageboard auf dem Benutzer Bilder und Texte in Diskussions-Threads veröffentlichen können, die nach einigen Stunden wieder verschwinden. Diese Unmittelbarkeit in Verbindung mit der Abwesenheit eines Moderators haben aus der Webseite einen Nährboden für kulturelle Artefakte gemacht, die auch als Meme bezeichnet werden. Manche Meme sind so populär, dass sie auch außerhalb von 4Chan bekannt wurden, beispielswese Katzenfotos mit lustigen Bildunterschriften.

Aber ihre Aktivitäten gehen darüber hinaus...

Die Benutzer der Webseite verübten eine globale Attacke auf Scientology, verbreiteten in den Medien das Gerücht, dass Steve Jobs einen Herzinfarkt hatte, und hackten in Sarah Palins E-Mail-Account. Die 4Chan-Leute sind fröhliche Spaßmacher, die beschämen, nerven und einschüchtern wollen. Das nahm 2007 auch eine politische Dimension an, die in einer Aktivistenbewegung namens „Anonymous“ resultierte. Diese „Hacktivisten“ belästigen große Unternehmen und Regierungen aus Rache für von der Gruppe wahrgenommene Ungerechtigkeiten.

Welche Menschen tummeln sich auf 4Chan?

Ich beschreibe die Benutzerstruktur von 4Chan nur ungern, denn es ist unmöglich zu wissen, wer sich dort herumtreibt, weil alle anonym sind. Trotzdem kann ich inoffiziell sagen – nachdem ich eine Menge Zeit auf 4Chan verbracht habe –, dass die meisten User weiße Männer im Alter von 15 bis 25 Jahren sind. Diese Gruppe genießt den Schockwert und den angeberischen Inhalt, den die Webseite bietet.

Wie hat 4Chan das Internet beeinflusst?

In meinem Buch beziehe ich mich auf zwei spezifische Gruppen: „anonymous“ und „Anonymous“. Die Erste repräsentiert den typischen 4Chan User. Er hat „das Web erobert“ in dem Sinne, dass 4Chans Humor und Meme-Kultur sich auf den Rest des Internets ausgebreitet hat. Meme tauchen auf Mainstream-Webseiten wie Facebook und selbst in Late-Night-Comedyshows auf. Vor einigen Jahren waren diese kulturellen Erzeugnisse noch auf die obskuren Foren von 4Chan beschränkt.

Ihr neues Buch heißt „Epic Win for Anonymous“ – was ist der „epische Sieg“?

Muss ich wirklich erklären, wie „Anonymous“ das Internet erobert hat? Die „Hacktivisten“-Gruppe erregt inzwischen weltweit Aufmerksamkeit. Sie hat erfolgreich Dutzende von Großunternehmen und Regierungen bekämpft, und ein globales Bewusstsein für viele wichtige Themen wie Zensur und Informationsfreiheit im Internet geschaffen. Das ist eine reife Leistung in Bezug auf Störung der Medien. Das Web ist fasziniert von Anonymous – eine Suche in Google News fördert tausende von Artikeln über die Gruppe zutage. Anonymous wollte viel Aufmerksamkeit erregen und das ist seinen Mitgliedern gelungen.

Halten sich die Aktivisten von Anonymous immer noch auf 4Chan auf oder sind sie inzwischen weitergezogen?

Anonymous, die Aktivistengruppe, ist abgewandert und sie benutzen die Webseite nicht mehr als Operationsbasis. 4Chan ist viel zu chaotisch, um dort etwas anderes als Rekrutierung auf kleiner Flamme zu bewerkstelligen. Die Gruppe hält sich jetzt vor allem in Chatrooms und diversen anderen Foren auf.

29 Feb 2012

AUTOREN

Heinz Diebel

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