taz.de -- Neues Volksbegehren: Vattenfall den Strom abdrehen

Das Bündnis Berliner Energietisch will erreichen, dass das Land das Stromnetz übernimmt und eigene Stadtwerke gründet. Ab Dienstag sollen Unterschriften gesammelt werden
Bild: Netze zurück ans Land - das ist die Botschaft.

Es geht um 36.000 Kilometer Stromleitungen, mehr als 80 Umspannwerke und rund 2,3 Millionen Stromzähler – und es geht vor allem darum, wie in Zukunft die Energieversorgung in Berlin gestaltet wird. Das Bündnis Berliner Energietisch, das sich aus mehr als 20 Organisationen und Initiativen von Attac bis BUND zusammensetzt, will per Volksbegehren durchsetzen, dass Berlin das Stromnetz übernimmt. Derzeit wird das Netz von Vattenfall betrieben. Außerdem, so das Bündnis, sollen eigene Stadtwerke gegründet werden – sozial und ökologisch ausgerichtet. Offizieller Startschuss für das Sammeln der Unterschriften ist am Dienstag (siehe Kasten). „Die Energiewende muss vor Ort passieren“, sagt Michael Efler vom Bündnis Berliner Energietisch. Strom habe dabei die größte Bedeutung.

Dabei will das Bündnis nicht nur energiepolitische Ziele durchsetzen. Es geht auch um satte Gewinne, die das Land selbst einstreichen soll – und zwar mehr als die 137 Millionen Euro Konzessionsabgabe, die der Netzbetreiber Vattenfall nach eigenen Angaben jährlich an das Land überweist. Wie viel mehr das sein kann, ist unklar.

Der Gesetzentwurf des Energietisches sieht die Gründung zweier neuer Anstalten des öffentlichen Rechts vor: eine Netzgesellschaft und Stadtwerke. Die Stadtwerke sollen Strom aus erneuerbaren Energie erzeugen. Sie würden von Grund auf neu starten und müssten Kunden von Vattenfall und anderen Stromanbietern abwerben, die weiterhin auf dem Markt wären. Die Netzgesellschaft müsste den Strom für alle Anbieter „diskriminierungsfrei“ transportieren – kein Versorger dürfte bevorzugt werden. Zugleich soll das Netz besser auf die Einspeisung dezentral produzierten Ökostroms ausgerichtet werden: viele Solarzellen und Windräder statt wenige Kohlekraftwerke.

Der Zeitpunkt für das Volksbegehren ist günstig: Die Berliner Stromnetz-Konzession läuft Ende 2014 aus. Bis zum 16. April können Interessenten bei der Finanzverwaltung ihr Interesse bekunden. Berlin behält sich ausdrücklich vor, das Netz ganz oder teilweise selbst zu übernehmen. Vattenfall will in jedem Fall gern weitermachen: Man habe schließlich „in den vergangenen Jahren als Stromnetzbetreiber gut gearbeitet“.

Sollten die Berliner für die Rekommunalisierung stimmen, wird die Streitfrage sein: Zu welchem Preis kann Berlin das privatisierte Stromnetz kaufen? Das Recht, es zu betreiben, hätte das Land zwar – das Netz mit den dazugehörigen Anlagen müsste es allerdings trotzdem zurückkaufen. Vattenfall beziffert dessen Wert auf rund drei Milliarden Euro. Ein Gutachten, das die Senatsverwaltung für Wirtschaft im vergangenen Jahr in Auftrag gegeben hatte, kommt hingegen auf einen Betrag zwischen 261 und 370 Millionen Euro. „Es ist die Regel, dass die Netzbetreiber einen zu hohen Preis verlangen“, sagt Wolfgang Zander von der Firma BET in Aachen, die zur Rekommunalisierung von Netzen arbeitet.

Im Abgeordnetenhaus unterstützt die Linkspartei den Gesetzentwurf. „Ich habe das Anliegen als Wirtschaftssenator selbst vertreten“, sagt Harald Wolf, jetzt energiepolitischer Sprecher seiner Fraktion. Die Grünen wollen auf einer Landesdelegiertenkonferenz am 24. März entscheiden, ob sie den Energietisch unterstützen. Die Piratenfraktion hat ebenfalls noch keinen offiziellen Beschluss gefasst, signalisiert aber Zustimmung.

Interessant ist die Rolle der SPD: Per Parteitagsbeschluss haben sich die Genossen grundsätzlich für eine Übernahme der Energienetze ausgesprochen. Bei den Koalitionsverhandlungen konnten sie aber nur folgende Formulierung durchsetzen: „Eine nachhaltige Energieversorgung (…) bedarf eines öffentlichen Einflusses auf den Netzbetreiber, welcher auch über eine Beteiligung an den Netzen durch das Land erfolgen kann.“ Eine komplette Übernahme halte er „für ausgeschlossen“, sagt Michael Garmer, Sprecher für Energiepolitik der CDU. Daniel Buchholz, energiepolitischer Sprecher der SPD, gibt sich jedoch zuversichtlich, „dass wir die CDU überzeugen können“. In der „AG Daseinsvorsorge“ bespreche man derzeit mögliche Modelle.

5 Mar 2012

AUTOREN

Sebastian Erb

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