taz.de -- Kommentar Rot-Grün in NRW: Ende eines klugen Experiments
Nach dem unbeabsichtigten Selbstmord der Liberalen gibt es Neuwahlen, die niemand wollte. Schon gar nicht die FDP, deren Verfall sich rasant beschleunigen wird.
Die Liberalen in NRW haben eine neue Art erfunden, von der politischen Bühne abzutreten: den unabsichtlichen Selbstmord. Die FDP wollte mannhaft den rot-grünen Schuldenhaushalt ablehnen, um ihm, mit ein paar Korrekturen, am Ende doch zuzustimmen. Ein scheinbar perfekter Plan: Rot-Grün hätte eine Mehrheit, die isolierte FDP wäre wieder im Machtspiel, vielleicht hätte sogar die Ampel wieder matt geblinkt. Doch solche Tricks sind rechtlich nicht vorgesehen. Nun gibt es Neuwahlen, die niemand wollte. Schon gar nicht die FDP, deren Verfall sich rasant beschleunigen wird, wenn sie in Saarbrücken, Kiel und Düsseldorf aus dem Landtag fliegt.
Schade ist es um diese FDP nicht. Schade ist es um das Modell Minderheitsregierung. Rot-Grün musste zwei Jahre lang Mehrheiten organisieren. Das war, gerade in dem lange von der SPD autokratisch regierten Land, eine nützliche Lockerungsübung. Das Parlament hatte dabei mehr, die Ministerialbürokratie weniger zu sagen. Diese Minderheitsregierung war, entgegen einer im stabilitätsfixierten Deutschland verbreiteten Skepsis, nicht entscheidungsschwach oder von Minderheiten erpressbar. Rot-Grün hat mit der CDU den Schulkompromiss vereinbart, mit der Linkspartei die Studiengebühren abgeschafft und mit der FDP Kommunalfinanzen geregelt. Es war ein Experiment, das das mitunter ideologisch erstickte Parteiensystem durchlüftet hat.
Und nun? Wem dieser Unfall nützt, ist absehbar. Die CDU ist in misslicher Lage. Norbert Röttgen ist Minister in Berlin, Spitzenkandidaten mit zweiten Karrierechancen kommen nie gut an. Zudem fehlt der Union ohne FDP die Machtperspektive. Die Grünen hätten zwar 2010, ohne mit der Wimper zu zucken, mit der CDU koaliert – doch nun stehen sie fest zu Rot-Grün. Denn Hannelore Kraft regiert, ohne die Grünen zu demütigen. Das war bei den SPD-Machos Clement und Steinbrück noch ganz anders.
Für Kraft eröffnet der FDP-Lapsus enorme Chancen, vielleicht über Düsseldorf hinaus. Sie hat mit der vorbeugenden Sozialpolitik die einzige praktisch brauchbare Idee entwickelt, die die SPD seit dem Desaster der Schröder-Ära hervorgebracht hat. Sie zählt zu den wenigen Sozialdemokraten, die frei vom Hartz-IV-Image sind. Wenn sie bei den Neuwahlen die CDU schlägt: Kann die SPD dann auf diese Frau bei der Kanzlerkandidatur verzichten?
14 Mar 2012
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