taz.de -- Kommentar Krisenpolitik: Langsam, aber wachsend

Sparkanzlerin Merkel scheint zu begreifen: Plötzlch spricht sie von „Wachstum“. Um die griechische Wirtschaft noch zu retten, dürfte die Einsicht zu spät kommen.
Bild: Freudige Abnehmer: Die BRICS-Handelsminister beim Frühjahrstreffen.

Die Lernkurve der deutschen Politik in der Eurokrise mag flach sein, aber immerhin scheint es eine zu geben. Das jüngste Indiz dafür lieferte die Deutsche Bundesbank, deren Chefvolkswirt hierzulande wenigstens ein bisschen Inflation zulassen möchte. Höhere Preise in Deutschland sind ein Beitrag zur Lösung der Eurokrise, weil damit plötzlich Waren aus den Krisenländern relativ günstiger und damit wettbewerbsfähiger werden.

Kürzlich hatte Bundessparminister Wolfgang Schäuble in die gleiche Kerbe gehauen: Die deutschen Arbeitnehmer sollten ruhig mal wieder ordentliche Lohnzuwächse bekommen, forderte er.

Die Lohnkosten in Deutschland waren in der letzten Dekade so schwach angestiegen wie sonst nirgends in Europa. Das erklärt die enorm gestiegene Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportwirtschaft zulasten der Konkurrenten etwa in Spanien oder Griechenland. Und das wiederum erklärt die Ungleichgewichte in Europa, die in die derzeitige Krise geführt haben.

Selbst Sparkanzlerin Angela Merkel scheint langsam zu begreifen, dass man allein mit weniger Ausgaben und geringeren Löhnen lediglich eine geringere Wirtschaftsleistung erreicht – und dadurch eben gerade keinen Schuldenabbau. Bereits vor der Abwahl des französischen Präsidenten Sarkozy, ihres wichtigsten Mitstreiters in Sachen blindes Sparen, konnte man das ungewohnte Wort „Wachstum“ aus ihrem Mund hören. So auch gestern wieder in ihrer Regierungserklärung.

Bislang aber bleibt es bei Absichtserklärungen. Auf die tatsächliche Politik schlagen diese sich noch nicht nieder. Ein Wachstum auf Pump sei nicht hinnehmbar, betonte Merkel gestern. Aber woher sonst das Geld für die Konjunkturankurbelung herkommen soll, das sagte sie auch nicht.

Um die griechische Wirtschaft noch zu retten, dafür dürften die neuesten klugen Einsichten jedenfalls zu spät kommen.

10 May 2012

AUTOREN

Nicola Liebert

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