taz.de -- Debatte Umwelt: Das grüne Versprechen

„Nachhaltigkeit“ heißt jetzt „Green Economy“. Das reicht aber nicht. Die Versöhnung von Ökologie, Wirtschaft und Sozialem braucht radikalere Schritte.
Bild: Grünes Versprechen? Einen Schritt schneller bitte – damit es nicht ins Leere geht.

Ob Hannover-Messe oder Bundesregierung, ob Wanderpfad oder neues Verpackungsmaterial – wer etwas für die Umwelt tun möchte oder dies zumindest suggerieren will, greift gern zum Label „Nachhaltigkeit“. Der „beinahe inflationäre Gebrauch des Begriffs“, kritisiert daher die Direktorin des Karlsruher Zentrums für Angewandte Kulturforschung, habe „zu einem Verlust seiner Konturen führt“.

Caroline Y. Robertson-von Trotha liegt jedoch falsch. Denn Konturen hatte der Begriff Nachhaltigkeit nie. Das ist ein Teil seiner Erfolgsgeschichte. Nachhaltigkeit ist in aller Munde – als Leerformel.

Vor 25 Jahren war das noch anders. Im Frühjahr 1987 legten die Vereinten Nationen den Bericht der „Weltkommission für Umwelt und Entwicklung“ vor, mit dem der Begriff „nachhaltige Entwicklung“ erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde. Die Kommission betonte zwei Perspektiven: Erstens sollte die Menschheit nicht zu Lasten der zukünftigen Generationen leben. Und zweitens sollten die ökonomische, die soziale und die ökologische Dimension von Gesellschaft harmonisiert werden.

Fünf Jahre nach seinem Erscheinen wurden im Juni 1992 auf der UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro internationale Abkommen zum Klimaschutz und zum Schutz der biologischen Vielfalt sowie das Aktionsprogramm „Agenda 21“ verabschiedet. Aufbruchstimmung herrschte bei Regierungen und teilweise auch bei Unternehmen und in der Zivilgesellschaft.

Stumpfe Rio-Instrumente

Die Welt hat sich seither verändert – nur nicht in Richtung Nachhaltigkeit. Die fortschreitende Globalisierung führte zu einem enormen Anstieg des Naturverbrauchs und der klimarelevanten Emissionen. Das westliche, ressourcenintensive Modell von Produktion und Konsum wurde ausgeweitet. Soziale Spaltungen haben sich in vielen Ländern vertieft. Umweltfragen werden vielerorts immer noch als zweitrangig angesehen – als Luxus, den man sich gerade in Krisenzeiten „nicht leisten“ könne.

Vor diesem Hintergrund blieben die in Rio verabredeten Instrumente stumpf. Das hat auch damit zu tun, dass sich die Politik auf keine wirklichen Konflikte einlassen wollte, sondern sich als eine Art „globaler Umwelt- und Ressourcenmanager“ verstand – Motto: Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, dann werden Unternehmen und Verbraucher schon handeln.

Firmen, so lautete die Hoffnung, würden sich schon auf Umweltschutz einlassen, wenn damit Geld verdient oder gespart werden kann: Die biologische Vielfalt soll durch kommerzielle Nutzung geschützt, der Klimawandel durch die Ausgabe handelbarer Verschmutzungsrechte bekämpft werden. Beide Wege führen bislang in die Sackgasse; Kritiker sprechen nicht zu Unrecht vom „death of Rio environmentalism“.

„Green economy“: neue Leitidee für Rio+20

Schon vor wenigen Jahren begann daher die Suche nach neuen, attraktiveren Ideen, mit denen der verblassten Vision einer nachhaltigen Entwicklung wieder neues Leben eingehaucht werden sollte. Bekannt geworden ist vor allem das Konzept der „green economy“, das insbesondere im grünen politischen Spektrum Anklang gefunden hat. Ausgehend vom Umweltprogramm der UNO fand es dank unzähliger Studien, Policy-Papiere und Debatten große Verbreitung und dient inzwischen als Leitidee der „Rio+20“-Konferenz, die im Juni unter dem Zuckerhut stattfindet.

Auch bei der „green economy“ geht es um die Versöhnung von Ökologie, Ökonomie und Sozialem. Allerdings gibt es einen gewichtigen Unterschied zur Geburtsstunde des Nachhaltigkeit-Begriffs: Wir erleben derzeit die schwerste Krise des Kapitalismus seit 70 Jahren. Mit „grünen“ Investitionen soll die Ressourceneffizienz erhöht und sollen Umweltbelastungen reduziert, somit neue Wachstumsperspektiven eröffnet und Arbeitsplätze geschaffen sowie Armut bekämpft werden.

Der Staat soll dazu durch ökologische Steuerreformen, ein „greening“ bei öffentlichen Beschaffungen, strategische Investitionen und den Ausbau nachhaltiger Infrastrukturen beitragen. Das klingt gut als Versprechen in Zeiten der Krise – wird aber auch ein solches bleiben, ohne Chance auf eine Umsetzung, die tatsächlich zu einem nichtzerstörerischen Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen führt.

Das Konzept der „green economy“ drückt sich um die Einsicht herum, dass die Steigerung der Ressourceneffizienz zu einem höheren statt niedrigeren Verbrauch und damit auch zu entsprechenden Umweltbelastungen führen kann: Benzinsparende Motoren machen das Autofahren billiger, man fährt deshalb öfter oder fliegt mit dem gesparten Geld in den Urlaub.

Mehr als „Schutz des Planeten“

Die nötige absolute Entkoppelung der Produktion und des Konsums vom Ressourcenverbrauch und den Emissionen ist mit Effizienzsteigerungen allein nicht zu haben. Das Problem liegt tiefer, es ist die Dominanz einer kapitalistischen Produktions- und Lebensweise, die zwar mit den Interessen der meisten Unternehmen und Gewerkschaften „harmoniert“, aber den wirklichen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen blockiert.

Allein mit technokratischen Korrekturen des herrschenden Wachstumsmodells wird man also die zentralen globalen Herausforderungen nicht bewältigen. Nötig ist vielmehr eine tief greifende sozial-ökologische Transformation, die den Schutz der Umwelt mit sozialer Gerechtigkeit verbindet. Im Zentrum darf dann auch nicht mehr nur ein abstrakter „Schutz des Planeten“ stehen, sondern die Frage: Wer bestimmt über die Entwicklungsrichtung der Gesellschaft, wer entscheidet etwa, ob weiter auf die klassische Automobilität gesetzt wird – oder auf umweltverträgliche und solidarische Modelle der Fortbewegung?

Eine demokratische Antwort wird sich vor Konflikten mit mächtigen ökonomischen Akteuren und der herrschenden Politik nicht drücken können. Ohne (Selbst-)Veränderung im Alltag der Menschen wird es allerdings auch nicht gehen – auch und insbesondere der ökologisch sensiblen Mittelschichten. Die leben und konsumieren in der Regel nämlich alles andere als „nachhaltig“.

16 May 2012

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