taz.de -- Rechtsfragen für Streaming-Portale: Ist kinox.to-Gucken strafbar?

In Leipzig stehen die Köpfe hinter der illegalen Filmplattform kino.to vor Gericht. Längst gibt es Nachfolge-Seiten. Eine Frage bleibt: Ist ihre Nutzung verboten?
Bild: War einmal: das Streaming-Portal kino.to, bevor die Staatsanwaltschaft es abschaltete.

Am 8. Juni 2011 um 9 Uhr morgens zerspringt in Leipzig eine Verandatür. Sekunden später stehen bewaffnete Männer vor Dirk B. Er liegt im Bett. Der Chef des erfolgreichsten deutschen Filmportals kino.to dürfte bis zu diesem Moment nicht geahnt haben, wie dicht ihm Staatsanwaltschaft und die Fahnder der Filmindustrie auf den Fersen sind. Sonst wäre er wohl kaum wenige Tage vorher von seinem Haus in Mallorca nach Leipzig geflogen, wo er jetzt verhaftet wird.

Zeitgleich bringen die Ermittler zwölf andere kino.to-Mitarbeiter in Gefängnisse in Zwickau, Dresden, Leipzig oder Hamburg. Sie beschlagnahmen Computer, Festplatten, 2,5 Millionen Euro auf Dirk B.s Konto und seine Autos, darunter ein schwarzer Mercedes SL AMG.

Von diesem Tag an sind auf der Seite kino.to keine Links zu neuesten Kinofilmen oder Serien mehr zu sehen, sondern die Botschaft, dass die Generalstaatsanwaltschaft Dresden die Seite beschlagnahmt habe.

Die Ermittler der sächsischen Sondereinheit Ines arbeiten sich mit externen IT-Experten in den kommenden Wochen und Monaten durch die Dateien und Links auf den Rechnern, sie vernehmen den Programmierer, den Server-Beschaffer, den Administrator von kino.to – und auch Dirk B.

Urteil: Streaming ist strafbar

Die Frage, die in diesen Tagen viele Nutzer der Seite beschäftigt: Können sie für das Ansehen von gestreamten Filmen bestraft werden? Schließlich liegen auf den Rechnern von Dirk B. und seinen Mitarbeitern auch die IP-Adressen, die zu Computern führen, von denen aus die Filme angesehen worden sind. Theoretisch könnten die Nutzerinnen heute noch belangt werden.

Auch wer aktuell Filme per Streaming abruft, muss sich das fragen. Denn kino.to ist zwar tot, aber längst gibt es Nachfolger wie kinox.to.

Macht sich also strafbar, wer per Streaming Kinohits im Internet ansieht? Obwohl er oder sie dabei keine Dateien auf den eigenen Computer lädt, so wie es beim Kopieren etwa über Torrent-Netzwerke geschieht.

Im Dezember 2011, als einer der kino.to-Mitarbeiter verurteilt wird, beantwortet ein Richter vor dem Amtsgericht Leipzig die Frage auf seine Weise. Auch Streaming sei illegal. „Denn auch beim Streaming werden die über das Internet empfangenen Datenblöcke zunächst auf dem Rechner zwischengespeichert, um sodann in eine flüssige Bildwiedergabe auf dem Bildschirm des Nutzers ausgegeben werden zu können“, schreibt Richter Mathias Winderlich in seiner Urteilsbegründung. „§ 16 UrhG stellt insoweit klar, dass auch vorübergehend erstellte Vervielfältigungsstücke dem Urheberrechtsschutz unterfallen.“

Nutzer handeln privat

„Rechtlich ist der gesamte Bereich sehr umstritten“, schreibt dagegen der Fachanwalt für IT-Recht Markus von Hohenhau auf Anfrage der [1][sonntaz] in einer E-Mail-Einschätzung. Er verweist auf den § 53 des Urheberrechtsgesetzes, der das Recht auf eine Privatkopie regelt.

Der Rechtsanwalt dekliniert die genannten Voraussetzungen für eine erlaubte Privatkopie nach § 53 durch. „Zulässig sind einzelne Vervielfältigungen eines Werkes durch eine natürliche Person.“ Das sei bei kino.to-Nutzern oder Betrachtern von Filmen auf anderen Filmportalen gegeben. „Zum privaten Gebrauch“: Nutzer eines Streams handelten, stellt von Hohenhau fest, anders als kino.to rein privat. „Auf beliebigen Trägern, sofern sie weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienen“ - auch das sei der Fall.

Dann der Knackpunkt: „soweit nicht zur Vervielfältigung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wird“. Das ist laut von Hohenhau die entscheidende Frage.

Ausgeklügeltes System

Konnte der Nutzer „offensichtlich“ wissen, dass eine rechtswidrig hergestellte Vorlage verwendet worden ist? Hierzu gebe es unterschiedliche Auffassungen. „Ich denke“, schreibt von Hohenhau, „dass den allermeisten Nutzern nicht bekannt war, wie die Struktur bei kino.to aufgebaut war und dass Uploader bezahlt wurden, dass Links manuell freigeschalten wurden.“

Wer kino.to nutzte, wusste also in der Regel nichts von dem komplexen System, das Dirk B. und seine Mitarbeiter geschaffen hatten, um mit Links auf Filme zu verweisen, die dann von anderen Seiten, so genannten Filehostern aus, gestreamt wurden.

Das System, das fanden die Ines-Ermittler heraus, war so ausgeklügelt, dass nicht nur mit Übersichtslisten Angebot und Nachfrage von Filmen dargestellt wurden, um den Wettbewerb unter den Hochladern, den Uploadern, anzufachen. Es schrieb auch jede Nacht den Namen aller Film-Links um, so dass die kino.to-Betreiber bei Beschwerden immer antworten könnten, sie hätten die entsprechenden Links gelöscht. Der Weg zu dem Film führte ja jeden Tag über einen Link mit einem anderen Namen.

Auf der Seite allerdings behaupteten die Betreiber von kino.to bis zuletzt, sie betrieben eine reine Linksammlung. Nutzer konnten also kaum wissen, wie „offensichtlich“ rechtswidrig die Angebote waren, argumentiert von Hohenhau.

Streaming im Privatmodus

Er geht sogar noch weiter: Es sei in manchen Fällen fraglich, „ob überhaupt eine Cache-Speicherung - und damit Vervielfältigung - beim Nutzer vorgelegen hat.“ Habe ein Nutzer im privaten Modus gesurft oder den Cache auf 0 eingestellt, würden seines Wissens keine Daten zwischengespeichert und damit liegt auch keine Vervielfältigung vor, schreibt von Hohenhau.

Der Richter am Leipziger Amtsgericht dagegen hatte nicht mit dem § 53 und der Privatkopie, sondern mit § 44a des Urheberrechtsgesetzes argumentiert. Dieser erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen eine ansonsten unzulässige Vervielfältigung.

Die „vorübergehenden Vervielfältigungsstücke im Streamingvorgang“, schrieb der Richter in der Urteilsbegründung, hätten „eine ganz wesentliche wirtschaftliche Bedeutung für den Nutzer, da er sich genau mittels dieser gespeicherten Daten den wirtschaftlichen Wert der Nutzung verschafft“. Das sei „schon weit herbeigeholt“, findet Fachanwalt von Hohenhau.

Für Dirk B. dürften solche Nutzer-Fragen derzeit kaum von Bedeutung sein. Er muss sich vor dem Landgericht Leipzig als Chef von kino.to verantworten.

Wie Dirk B. mit der Seite mehr als 6,6 Millionen Euro Werbeeinnahmen erwirtschaftete und sich damit vom Teppichverleger zum Millionär machte, wofür er seinen Reichtum nutzte und warum ihn die Ermittler am Ende doch erwischten, das lesen Sie in der [2][sonntaz vom 19./20. Februar] Februar. Am Kiosk, [3][eKiosk] oder gleich im [4][Wochenendabo]. Und für Fans und Freunde: [5][facebook.com/sonntaz]

19 May 2012

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Johannes Gernert

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