taz.de -- Kampagne gegen sexuelle Gewalt: Niemand wird dir glauben
Sexuelle Übergriffe werden selten angezeigt. Das kann so nicht bleiben, finden drei Frauen aus München. Im Internet veröffentlichen sie verstörende Geschichten vom Schweigen.
„Hätte ich eine Tochter und sie würde vergewaltigt, ich würde ihr abraten, zur Polizei zu gehen.“ Das verkündete Exgeneralstaatsanwalt Hansjürgen Karge im Verlauf des Falls Kachelmann 2010 in einer Talkshow.
Mit anderen Worten: Der Staatsanwalt zieht die Straflosigkeit eines Verbrechens vor gegenüber einem Prozess, in dem die Beweislage oft jämmerlich ist und der die Anzeigende retraumatisieren kann.
Dabei kann es nicht bleiben, dachten drei Frauen aus München. Ehrenamtlich organisierten die Autorin, die Lehrerin und der weibliche Coach mit der Frauenberatungsstelle Kofra die Kampagne [1][ichhabnichtangezeigt]: Menschen, die sexuelle Gewalt erlebt haben und es nicht wagten, die Polizei einzuschalten, können ihre Geschichte an die Kampagnenseite mailen. Die Initiatorinnen stellen sie dann anonym auf Facebook und Twitter ein.
„Wir waren überwältigt von der Resonanz“, so die Autorin Sabina Lorenz, es war, „als hätten die Leute nur darauf gewartet.“ Bis heute haben rund 900 Frauen und Männer ihre Geschichte erzählt.
Am 15. Juni soll die Kampagne enden. Was folgt aus ihr? „Es war erschütternd, zu sehen, wie viele Menschen die Beratungsstellen nicht kennen“, so Lorenz. PolizistInnen sollten eine Fortbildung erhalten, um Traumata zu erkennen und nicht noch zu verschlimmern, fordert sie. Die Menschen sollten schon bei der Anzeige psychologisch begleitet werden.
Und, so könnte man hinzufügen: Staatsanwälte wie Karge sollten Tipps geben, die Opfern weiterhelfen, statt sie erneut zu Opfern zu machen, die gar nicht erst versuchen, Gerechtigkeit zu finden.
4 Jun 2012
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