taz.de -- Neues Schengen-Abkommen: Runter mit dem Schlagbaum

Künftig sollen EU-Staaten nach Gutdünken wieder die Binnengrenzen kontrollieren dürfen. Darauf wollen sich die EU-Innenminister am Donnerstag einigen.
Bild: In der EU soll jeder wieder die Schlagbäume runterkurbeln dürfen, wann er will.

Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraums sollen in Zukunft einfacher werden. Einzelne Länder können vorübergehend sogar ganz aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Darauf wollen sich die EU-Innenminister am Donnerstag in Luxemburg einigen.

Schon jetzt sind Ausweiskontrollen an den europäischen Binnengrenzen in Ausnahmesituationen für kurze Zeit erlaubt: Etwa bei terroristischer Bedrohung oder bei Großereignissen wie einer Fußball-EM.

Künftig aber soll die Regierung eines Mitgliedsstaates allein darüber entscheiden dürfen, ob sie die Grenzen vorübergehend dicht macht. Laut Diplomatenkreisen haben sich Frankreich und Deutschland somit gegen die EU-Kommission durchgesetzt. Gegenstimmen werden lediglich von Ländern an den Außengrenzen wie Spanien oder Griechenland erwartet.

Im Klartext heißt das: Wenn ein Land seine Außengrenzen nach Ansicht der übrigen Schengen-Mitglieder nicht ausreichend schützt, kann dieses Land faktisch aus dem Schengenraum ausgeschlossen werden. Die Kontrollen an den Binnengrenzen können bis zu zwei Jahre lang aufrechterhalten werden.

Heftiger Widerspruch in Berlin

Ursprünglich hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Schengenraum auf EU-Ebene zu entscheiden. Sie war damit aber bei den Mitgliedsstaaten auf Ablehnung gestoßen. Unerwartet heftig war der Widerspruch in Berlin.

Als Frankreich und Dänemark im vergangenen Jahr eigenmächtig Kontrollen an ihren Grenzen verstärkt hatten, beschwerte sich die deutsche Bundesregierung noch über diese Alleingänge. Jetzt scheint sie aber genau dieses Vorgehen zur Regel machen zu wollen. Die grüne EU-Abgeordnete Ska Keller wirft der Berliner Regierung „Doppelzüngigkeit“ vor.

Ob sich die Innenminister mit ihren Forderungen durchsetzen, wird sich erst in den kommenden Monaten entscheiden. Das Europäische Parlament muss den neuen Regeln zustimmen, und unter den EU-Abgeordneten wächst der Widerstand gegen die Rückkehr zur Nationalstaatlichkeit. „Wir müssen Missbrauch wie in Dänemark ausschließen. Das geht nur über eine europäische Mitsprache“, sagt der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber.

EU-Parlament ausschließen

Dass die EU-Abgeordneten die Minister ausbremsen, haben diese sich zum Teil selbst zuzuschreiben. Sie wollen nämlich bei der geplanten Überprüfung der Kontrollen an den Außengrenzen das EU-Parlament künftig von allen Entscheidungen ausschließen.

Das heißt, sie wollen allein entscheiden, nach welchen Kriterien und in welchen Zeitabständen von einem Expertenteam die Grenzsicherung kontrolliert werden soll. Deutschland drängt darauf, dass diese Kontrollen nur an den Außen-, nicht aber an den Binnengrenzen durchgeführt werden dürfen.

Die EU-Parlamentarier sehen damit ihre Rechte verletzt und wollen im Notfall sogar vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. „Nach dieser Keule vom Rat werden wir bestimmt nicht dem Wunsch der Minister für den Mechanismus zur Einführung von Grenzkontrollen einfach so zustimmen“, sagt Ska Keller.

Auch Manfred Weber geht davon aus, dass sich der Streit zwischen den Institutionen noch hinziehen wird: „Es kann nicht sein, dass die Mitgliedstaaten eine parlamentarische Kontrolle verhindern.“ Der zuständige Innenausschuss will sich am kommenden Montag zu einer Sondersitzung treffen, um über das weitere Vorgehen zu beraten.

6 Jun 2012

AUTOREN

Ruth Reichstein

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