taz.de -- Steit um Reisefreiheit in der EU: Innenminister vor Anklage
Europaabgeordnete wollen den Beschluss der Innenminister über die Einführung neuer Grenzkontrollen und einer Einschränkung der Parlamentsrechte nicht hinnehmen. Sie bereiten eine Klage vor.
BRÜSSEL taz | Die Abgeordneten im Europäischen Parlament wollen die EU-Mitgliedsstaaten daran hindern, in Zukunft allein über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Schengen-Raum zu entscheiden. Sie wollen notfalls vor dem Europäischen Gerichtshof klagen.
„Die Mitgliedsstaaten wollen Schengen renationalisieren. Das ist eine Schande. Wir können das nicht akzeptieren“, sagte der Vorsitzende der liberalen Fraktion, Guy Verhofstadt, am Dienstag in einer eigens einberufenen Dringlichkeitsdebatte in Straßburg.
Die Abgeordneten reagierten damit auf die Beschlüsse der Innenminister vom vergangenen Donnerstag. Demzufolge darf eine Regierung allein über die Einführung von Grenzkontrollen entscheiden, wenn sie der Ansicht ist, ein anderes Land sichere seine Außengrenzen nicht ausreichend zum Beispiel gegen Flüchtlingsströme ab.
Die Minister vereinbarten einen neuen Notfall-Mechanismus, nach dem Länder für insgesamt bis zu zwei Jahre ihre Grenzen schließen können. Das wollen die Abgeordneten nicht zulassen. Sie fordern dafür eine Entscheidung auf europäischer Ebene und wollen dementsprechend Änderungsanträge einbringen.
Für Empörung im EU-Parlament sorgte aber vor allem der Beschluss der Minister, das Parlament in Zukunft von der sogenannten Evaluierung des Schengen-Abkommens auszuschließen. Demnach wollen die EU-Staaten allein prüfen, ob das Abkommen korrekt umgesetzt wird – etwa durch Kontrollen an den Außengrenzen. Die Kriterien für diese Kontrollen wollen die Regierungen ohne Einbeziehung des Parlaments erarbeiten.
Einhellige Empörung
„Das ist eine Provokation“, sagte der Vorsitzende der Konservativen, Joseph Daul. Die Vorsitzende der Grünen, Rebecca Harms, kündigte an, das Parlament werde die Mitgliedsstaaten vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen.
Auch der CSU-Abgeordnete Manfred Weber erklärte, die Klage werde vorbereitet. Die EU-Kommission will das Parlament dabei unterstützen.
Ohne die Zustimmung der Abgeordneten können die neuen Schengen-Regeln nicht in Kraft treten. Der Streit wird sich noch Monate hinziehen.
Bis dahin bleibt alles beim Alten: Die Mitgliedsstaaten dürfen Grenzkontrollen einführen, wenn sie die innere Sicherheit bedroht sehen. Allerdings zählen Flüchtlingsströme nicht zu diesen Gründen.
12 Jun 2012
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Die Bundesregierung hat zugegeben, dass Flugreisende aus Griechenland stets kontrolliert werden. Das ist eigentlich illegal, doch die Regierung hält es für zulässig.
Bürger aus dem Süden der EU werden bei der Einreise besonders kontrolliert – verdachtsunabhängig. Ob das dem Schengen-Abkommen entspricht, ist fraglich.
Die EU-Innenminister wollen zurückkehren in eine Zeit, in der Nationalstaaten ohne Rücksicht auf ihre Nachbarn entschieden. Sie widersprechen damit dem europäischen Geist.
Benzin, Alkohol, Zigaretten: Am Übergang Korczowa/Krakowez leiden Händler unter der schleppenden Abfertigung – trotz zweier neuer Trassen.
In Ausnahmefällen dürfen innerhalb der EU wieder Kontrollen an den Grenzen stattfinden, so haben es die EU-Länder einstimmig entschieden. Oppositionspolitiker fürchten um die Reisefreiheit.
Im Arabischen Frühling kamen Tausende Tunesier nach Europa, was zu Streit in der EU führte. In Zukunft könnten an Grenzen wieder Ausweise verlangt werden.
Das neue Schengen-Abkommen wurde von Deutschland und Frankreich durchgesetzt. Nicht die Fremden sind der „Notfall“ in Europa, sondern die Fremdenfeindlichkeit.
Künftig sollen EU-Staaten nach Gutdünken wieder die Binnengrenzen kontrollieren dürfen. Darauf wollen sich die EU-Innenminister am Donnerstag einigen.