taz.de -- EU-Flüchtlingspolitik: Etliche vermeidbare Todesfälle

Über 1.500 Menschen mussten 2011 sterben, weil Europa seine Grenzen streng kontrolliert. Unnötig viele Opfer, meint Amnesty International und fordert, Flüchtlinge besser zu schützen.
Bild: Flüchtlinge müssen auf Kreta von Bord gehen, notdürftig in Decken gehüllt.

BERLIN afp/dapd | Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat die EU-Mitgliedsstaaten aufgefordert, mehr zum Schutz von Flüchtlingen zu tun. Mindestens 1500 Männer, Frauen und Kinder seien im vergangenen Jahr auf ihrer Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunken, erklärte die Organisation in einem am Mittwoch in Berlin veröffentlichten Bericht zum Flüchtlingsschutz. „Etliche dieser Todesfälle wären vermeidbar gewesen“, hieß es weiter.

„Europa muss seiner Verantwortung für Flüchtlinge in Seenot endlich gerecht werden“, forderte die Amnesty-Asylpolitikexpertin Franziska Vilmar. Die Mitgliedsstaaten und EU-Institutionen müssten „alle nötigen Maßnahmen bei der Seenotrettung“ treffen, „um dem Sterben im Mittelmeer ein Ende zu bereiten“.

Doch bisher sei den Regierungen der Europäischen Union wichtiger, ihre Grenzkontrollen zu verstärken, als Menschenleben zu retten, heißt es in dem Bericht. „Heute versagt Europa dabei, die Rechte von Migranten, Asylbewerbern und Flüchtlingen zu fördern und zu respektieren“, so die Autoren weiter. „Feindseligkeit ist weitverbreitet und Misshandlungen werden nicht gemeldet.“

Amnesty International kritisierte insbesondere das neue Migrationsabkommen zwischen Italien und Libyen. Dadurch bestehe die Gefahr, dass Italien weiterhin Menschen ohne Überprüfung ihres Flüchtlingsstatus auf hoher See aufgreife und sie direkt nach Libyen zurückschicke.

Dort riskierten die Flüchtlinge, in ihre Heimatländer abgeschoben zu werden, wo ihnen Folter oder schwere Misshandlung drohten, warnte Amnesty. „Diese Maßnahmen führen dazu, dass Flüchtlinge schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt“, erklärte Vilmar.

13 Jun 2012

TAGS

Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien

ARTIKEL ZUM THEMA

Gesunkene Flüchtlingsschiffe: Über 60 Tote im Mittelmeer

Vor Lampedusa ist ein Flüchtlingsschiff gekentert, zahlreiche Menschen werden vermisst. Bereits am Donnerstag starben vor der türkischen Küste 61 Menschen.

Europäische Flüchtlingspolitik: Gestrandet im Nirgendwo

81 Flüchtlinge sitzen auf einer unbewohnten spanischen Insel vor der Küste Marokkos fest. Die spanische Regierung lehnt jede Verantwortung ab.

54 Flüchtlinge im Mittelmeer gestorben: Mit dem Schlauchboot nach Italien

Auf der Überfahrt von Libyen nach Italien sind 54 Menschen gestorben, die meisten sind verdurstet. Angeblich waren sie bereits in Sichtweite der Küste, trieben dann wieder ab.

UNHCR veröffentlicht Jahresbericht: Trauriger Flüchtlingsrekord

2011 waren weltweit mehr Menschen auf der Flucht vor bewaffneten Konflikten als früher. Deutschland ist bei der Hilfe für Flüchtlinge ganz vorne dabei.

Neue Flüchtlingspolitik: Wer krank ist, darf zum Arzt gehen

Die neue schleswig-holsteinische Regierung will die medizinische Versorgung für Menschen ohne Papiere verbessern. Ehrenamtliche Helfer begrüßen das.

Binnenkontrollen in der EU: Grenzen dürfen abgedichtet werden

In Ausnahmefällen dürfen innerhalb der EU wieder Kontrollen an den Grenzen stattfinden, so haben es die EU-Länder einstimmig entschieden. Oppositionspolitiker fürchten um die Reisefreiheit.

Schengen-Abkommen: Wie es war und wie es werden könnte

Im Arabischen Frühling kamen Tausende Tunesier nach Europa, was zu Streit in der EU führte. In Zukunft könnten an Grenzen wieder Ausweise verlangt werden.

Kommentar Schengen-Abkommen: Ein Notfall namens Fremdenfeindlichkeit

Das neue Schengen-Abkommen wurde von Deutschland und Frankreich durchgesetzt. Nicht die Fremden sind der „Notfall“ in Europa, sondern die Fremdenfeindlichkeit.

Tod von 60 Flüchtlingen im Mittelmeer: Europarat fordert Aufklärung

Die EU-Mitgliedstaaten sollen erklären, warum sie im März 2011 einem Flüchtlingsboot aus Libyen nicht zur Hilfe kamen. Vor allem Spanien und Italien sind gefragt.

Bürgerrechtler über Grenzkontrollen der EU: „Europa wird noch unmenschlicher“

Die computergesteuerte Grenzsicherung der EU ist teuer, ineffektiv und vor allem menschenrechtswidrig, sagt Ben Hayes. Die EU sei zu sehr auf ihre Sicherheitsagenda fixiert.