taz.de -- Bürgerkrieg in Syrien: Innere Angelegenheit der Syrer
Die UNO spricht jetzt von Bürgerkrieg in Syrien. Doch Augenzeugen berichten von einseitiger Gewalt und „ethnischen Säuberungen“ des Regimes.
BEIRUT taz | Die UNO hat den innersyrischen Konflikt 15 Monate nach dem Beginn der friedlichen Proteste als Bürgerkrieg klassifiziert. Das Internationale Rote Kreuz erkannte bereits Anfang Mai, dass seine drei Kriterien für einen Bürgerkrieg in einigen Teiles des Landes erfüllt waren – Intensität, Dauer und der Organisierungsgrad der Rebellen spielten dabei eine Rolle.
Jetzt stellte auch UN-Untergeneralsekretär Herve Ladsous fest, dass die Gewalt „massiv zugenommen“ habe und die „Natur der Kämpfe“ verändert sei, da die Armee Kampfhelikopter gegen die eigene Bevölkerung einsetze.
„Es ist verdammt nochmal kein Bürgerkrieg“, sagte demgegenüber der Kriegsfotograf Robert King der taz in Beirut. King war am Dienstag nach einer sechswöchigen, illegalen Recherchereise durch die umkämpften Gebiete in der Region Homs in den Libanon gekommen.
„So etwas habe ich noch nie gesehen, und was ich in den Wochen in der Provinz Homs dokumentiert habe, waren ethnische Säuberungen“, berichtete der sonst ruhig und abgebrüht wirkende Fotojournalist aufgebracht. In einem Bürgerkrieg müssen mindestens zwei klar identifizierte Kriegsparteien beteiligt sein, was seinen Beobachtungen nach eindeutig nicht gegeben ist.
Sobald ein Konflikt als Bürgerkrieg eingestuft ist, gilt er als „innere Angelegenheit“ eines Staates. Das bedeutet nach den Genfer Koventionen, die Syrien 1949 unterzeichnete, dass der Staat gegenüber den Rebellen nicht die völkerrechtlich verbindlichen Grundsätze einhalten muss.
Im Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen von 1977 wurde jedoch festgehalten, dass die Zivilbevölkerung vor Gewalt und Gefangene vor Folter geschützt werden sollen. Verwundete sollen versorgt werden. Wäre es möglich, das Zusatzprotokoll in Syrien zu implementieren, so ginge es der Bevölkerung eindeutig besser als jetzt.
Auch Kampfhubschrauber im Einsatz
„Der Konflikt ist kein Bürgerkrieg“ sagt auch der syrische Sozialwissenschaftler Haid Haid, der schon vor dem Beginn der Revolution für die UNO in Syrien tätig war. Aktuell arbeitet er in Beirut an der „Stop the killing“-Kampagne und organisiert Demonstrationen und Workshops. Auch er sagt, dass die Gewalt einseitig sei. „Das Regime versucht, sich mit seinen Getreuen verschiedener Konfessionen zu halten, egal wie hoch der Preis ist.“ Ihm sei unbegreiflich, wie die internationale Gemeinschaft sich weiter aus ihrer Verpflichtung heraushalte.
Es sei die Aufgabe der UNO, die Menschen in einer solchen Situation zu schützen oder zumindest Russland daran zu hindern, weiter Waffen und Helikopter zu liefern. Er wünsche sich ein robustes UN-Blauhelmmandat für sein Heimatland, „am Besten noch heute“.
Solange das nicht gegeben sei, würden die Rebellenarmee Free Syrian Army (FSA) und einzelne Bewaffnete weiter versuchen, die Zivilbevölkerung zu schützen. Doch das, sagt Haid, sei auch unter Einsatz von Waffen kein Kriterium für einen Bürgerkrieg, da die Bürger nur das Recht auf Selbstverteidigung ausübten.
Die UNO kam aufgrund von Berichten zu dem Entschluss, den Konflikt nun als Bürgerkrieg einzustufen. Das Regime setze nicht nur mehr Artillerie und Panzer, sondern auch Kampfhubschrauber ein.
Kriegsreporter King macht diese Aussage wütend: „Was soll der ganze Quatsch mit den UN-Beobachtern, die Massaker beobachten und aus Srebenica nichts gelernt haben“, empörte er sich. „Es gibt von Anbeginn an glaubhafte Videofilmer in Syrien. Braucht man tatsächlich einen Blauhelm und eine Kamera, um die eindeutige und bereits tausendfach abgebildete Wahrheit zu legitimieren?“
13 Jun 2012
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