taz.de -- Elbphilharmonie-Intendant über Musikvermittlung: "Wir wollen eine Durchmischung"
Hamburgs Elbphilharmonie existiert noch nicht, die Elbphilharmonie-Konzerte gibt es aber sehr wohl. Seit drei Jahren müht sich deren Intendant Christoph Lieben-Seutter, auch junges und migrantisches Publikum in die Konzertsäle zu holen. Mit wechselhaftem Erfolg und etlichen Überraschungen.
taz: Herr Lieben-Seutter, auch Ihren Klassik-Konzerten fehlt junges Publikum. Warum stellen Sie die Termine nicht einfach auf Facebook?
Christoph Lieben-Seutter: Das tun wir bereits, Leute unter 25 können Sie anders gar nicht mehr erreichen. Interessant wird es allerdings erst, wenn unsere Facebook-Freunde nicht nur die Postings kommentierten, sondern auch über Facebook ihre Freundeskreise zum Konzertbesuch animierten.
Wie gut funktioniert das?
Wir stehen da noch am Anfang. Man kann auf Facebook zum Beispiel noch keine Karten für die Elbphilharmonie-Konzerte kaufen, und dieser Vertriebsweg wäre – als Ergänzung zu Konzertkasse und Webseite – wichtig. Ich glaube zwar, dass wir mit derzeit rund 4.500 Facebook-Freunden für eine Kulturinstitution gut dastehen. Trotzdem liegt der Anteil unserer Konzertbesucher, die sich von Facebook motivieren lassen, noch jenseits der statistischen Wahrnehmung.
Wie hoch ist der Teenager-Anteil unter Ihren Besuchern?
Gering, mehr wissen wir noch nicht. Genaues wird eine Publikumsbefragung ergeben, die wir planen.
Und wenn Schüler kommen, wurden sie vom Lehrer gezwungen…
Ich würde eher sagen: motiviert. Wir arbeiten bei unseren Vermittlungsprogrammen in der Tat mit Schulen zusammen, was dazu führt, dass manchmal 50 oder 100 Schüler in unseren Konzerten sitzen. Und die sind – anders als ich es in meiner Jugend war, ich war grauenhaft renitent – sehr aufmerksame und begeisterte Zuhörer. Das ist gut für die Stimmung im Saal und macht die Konzerte vom Gefühl her jünger. Rein statistisch ist das Gros des Publikums aber um die 60, weiblich und entstammt der Mittelschicht.
Vielleicht scheuen die Jugendlichen den hehren Konzertsaal. Warum spielen Sie Klassik nicht mal im Club?
Das tun wir manchmal, obwohl es akustisch nicht optimal ist. Denn Klassik lebt ja davon, dass ein Orchester im Raum gut klingt. Clubs sind aber meist schalltot, damit die Verstärkung gut funktioniert. Grundsätzlich halte ich diese Idee aber für richtig. Wir haben auch bereits eine Beethoven-Sinfonie im „Docks“ auf St. Pauli aufgeführt. Das war ein Riesenspaß.
Und alles voller junge Leute?
Nicht unbedingt. Die Stimmung war toll, aber zu 80 Prozent kamen Klassik-Freunde oder Menschen, die normalerweise in die Laeiszhalle kommen. Der ungewöhnliche Ort alleine bringt noch kein junges Publikum.
Gäbe es eine für Jugendliche attraktive Mischform?
Man könnte sicher mit viel Aufwand eine Reihe ins Leben rufen, bei der Konzerte in Clubs leger moderiert werden. Danach gäbe es einen DJ, es wäre ein runder Abend, und das spräche sich herum: so könnte man ein Format entwickeln, das vielleicht greift. Aber es eben nicht so, dass der Zugang zur Klassik der Club ist.
Bemühen Sie sich auch um Menschen mit Migrationshintergrund?
Ja. Wir versuchen, sie da abzuholen, wo sie zu Hause sind, das heißt in den „Problemstadtteilen“ wie Wilhelmsburg, Jenfeld, Mümmelmannsberg. Dafür haben wir die Reihe „Dr. Sound im Einsatz“ konzipiert.
Was ist das?
Ein Familienkonzertprogramm, das das Publikum dazu anhalten soll, regelmäßig ins Konzert zu gehen, weil es eine Fortsetzungsstory gibt. Dazu gehören pro Jahr vier Konzerte: drei in kleiner Besetzung im Stadtteil und das vierte mit großem Orchester in der Laeiszhalle. Und wer nicht selbst kommen kann, wird von uns mit Bussen abgeholt und zurückgebracht.
Welche Musik gibt es da?
Ein breites Spektrum von Barock bis zur Neuen Musik, manchmal auch Jazz oder Volksmusik. Gespielt wird sie von Musikern aus verschiedenen Bereichen: mal Streicher, mal ein Saxophon-, mal ein Schlagzeugensemble. Sie bieten eine moderierte Story, die sich jedes Mal weiterentwickelt und beim letzten Konzert aufgelöst wird.
Wie kommt die Reihe an?
In Wilhelmsburg und Jenfeld gut, in Mümmelmannsberg sehr wechselhaft.
Wie machen Sie diese Konzerte publik?
Indem wir zum Beispiel in Mümmelmannsberg, wo viele Türken und Afghanen wohnen, Flyer auch auf Türkisch und auf Dari verteilen. Mit viel Überzeugungsarbeit kommen dann auch etliche zu den Konzerten. Das heißt aber nicht, dass sie nächstes Mal wiederkommen.
Warum nicht?
Wir wissen es nicht genau. Es könnte sein, dass der regelmäßige Besuch von Veranstaltungen nicht gelernt ist.
Bemühen Sie sich auch speziell um die große türkische Community in Hamburg?
Ja. Wir haben vor zwei Jahren ein prototypisches Experiment gemacht, als der türkische Pianist Fazil Say ein Festivalprogramm kuratiert hat, das vom Klassik-Konzert über klassische türkische Musik in der Fabrik bis zum DJ-Abend im „Uebel und Gefährlich“ reichte.
Wie waren die Konzerte besucht?
Außerordentlich gut. Die Woche war ein Riesenerfolg.
Ihr Fazit?
Erstens, dass es ein Publikum mit türkischem Background gibt, das es genoss, zum klassischen Konzert in die Laeiszhalle zu kommen. Es herrschte eine sehr gute Stimmung; da gibt es eindeutig ein Potenzial an Menschen, die man regelmäßig auch in eine Hochkultur-Institution bringen kann. Ich bin sicher, dass man diese Menschen langfristig auch für andere Konzerte gewinnen kann. Aber der Türöffner war in diesem Fall ein Landsmann, von dem sie sich wohl besonders angesprochen fühlten.
Wer genau kam ins Konzert?
Zu 80 Prozent Menschen mit türkischem Background. Das ist doch ein guter Anfang. Unser Ziel ist aber natürlich, eine gute Durchmischung hinzubekommen.
Werden Sie so etwas wiederholen?
Ganz sicher, und nicht nur für die türkische Community. Für die Hamburger Portugiesen zum Beispiel oder für die Afghanen könnten wir etwas Spezielles bieten.
Sie setzen auf Parzellierung statt Integration?
Nein. Aber diese „nationalen“ Programme oder Interpreten senken fürs Erste die Hemmschwelle. Ideal wäre natürlich, wenn wir ein russisches Musikwochenende machten und nicht nur Russen, sondern auch viele andere Hamburger sagten: Das ist spannend, da gehen wir hin.
13 Jun 2012
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