taz.de -- Schweden bei Twitter: Erdbeeren und Pipi
Ein Land, ein Account: Schweden wollte bei Twitter experimentieren. Das klappte nicht ganz. Kuratorin Sonja erzählte einfach mal von ihren Gedanken.
„Oh shit … wieder ein Tor. Meine Nachbarn hören sich wie der Männerchor pensionierter Spartaner an.“ Manchmal konnte man bei Sonja erfahren, was ganz Schweden gerade bewegte. Wie am Freitagabend der EM-Rausschmiss gegen England: „Total traurig für die Hersteller schwedischer Nationalmannschaftstrikots.“
Doch meist erzählte Sonja von sich und ihren Gedanken. Und es war das, was internationale Aufmerksamkeit erregte. Sonja Abrahamsson war in der vergangen Woche Kuratorin von @sweden. [1][„Dem demokratischsten Twitter-Account der Welt“], wie sich „Curators of Sweden“, eine staatliche Kulturbehörde und eine halbstaatliche Tourismusorganisation, die sich um Schwedens Bild in der Welt kümmern sollen, stolz selbst loben.
Folglich hat das Land den offiziellen [2][//twitter.com/#!/sweden:Twitteraccount] unter twitter.com/#!/sweden [3][//twitter.com/#!/sweden:http://https://twitter.com/#!/sweden]seit Dezember 2011 seinen BürgerInnen überlassen. Jeweils für eine Woche lang bekommt eine Person Verantwortung für @sweden und darf dort schreiben, was sie will. Womit man zeigen wolle, dass es eben nicht ein, sondern ganz viele verschiedene Menschen gibt, die alle Schweden sein können.
Sonja, „heilige Mutter von zweien“, schaffte als „Schweden“ mit ihrem Gezwitscher schnell den Sprung von Web 2.0 in die klassischen Medien. Eine „vulgäre, Justin Bieber hassende Mutter“ hätte @sweden übernommen, berichtete CNN angesichts Gedanken wie: „manchmal schaue ich meine Kinder an und denke daran, wie es war, als sie meine Vagina um ihren Hals hatten“, oder Fotos mit dem Titel „Erdbeeren mit Milch und Urin – wie köstlich!“
Natürlich nicht rassistisch gemeint
Und richtig brach die Kritikwelle los, als Sonja sich mit Juden und Penissen beschäftigte. „Wozu die Aufregung um Juden? Man kann doch gar nicht sehen, ob jemand Jude ist, wenn man seinen Penis nicht sieht, und auch dann kann man sich nicht sicher sein!?“ Weshalb man ihnen „in Nazideutschland ja auch Sterne an den Ärmel genäht“ habe.
Natürlich sei das nicht rassistisch gemeint, stellte Sonja später klar, sie habe sich doch nur gewundert, wie überhaupt jemand Antisemit sein könne. Mit Missverständnissen, die angesichts der Form von 140-Zeichen-Botschaften – „eine kommunikative Herausforderung“ – kaum zu vermeiden seien, verteidigt Maria Ziv von „Curators of Sweden“ Sonja.
Rassistische Bemerkungen hätte man selbstverständlich gelöscht. Die Twitterfreiheit bei @sweden ist also nicht grenzenlos. Auch ein offenbar als zu freizügig empfundenes Foto der Twitterin „verschwand“ nach einigen Tagen. Dass Sonja Abrahamsson provozieren würde, dürfte für die Initiatoren von @sweden angesichts deren privater Twitter- und Blog-Seite nicht überraschend gewesen sein.
Wollten sie mit ihrer Wahl @sweden ins Gespräch bringen, wäre das Kalkül jedenfalls aufgegangen. Die Zahl der Followers verdoppelte die 27-Jährige in „ihrer“ Woche spielend auf über 60.000. Ab Montag ist ein neuer Schwede @sweden.
17 Jun 2012
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