taz.de -- „Islamisten-Checkliste“ in Niedersachsen: Gute Muslime haben dick zu sein
Eine „Islamisten-Checkliste“ des niedersächsischen Innenministers sorgt für Aufruhr. Darin werden Gewichtsverlust, lange Reisen oder Reichtum als Indizien für Extremismus aufgelistet.
HANNOVER/OSNABRÜCK epd | Muslime haben den niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann (CDU) für eine Islamisten-Checkliste kritisiert. Der Osnabrücker Islamwissenschaftler Bülent Ucar kritisierte, mit solchen allgemein etwa an Schulen verteilten Listen werde das Thema Islamismus dramatisiert: „Das führt dazu, dass viele religiös lebende Muslime zu unrecht verdächtigt werden“, sagte er am Donnerstag.
Die Broschüre, die der Verfassungsschutz unter anderem an Lehrer und Jugendamtsmitarbeiter verteilen soll, listet auf, woran man erkennen soll, dass junge Muslime in den Extremismus abrutschen.
Die Liste fördere ein Klima der Angst, sagte der Vorsitzende des niedersächsischen Moscheeverbands Schura, Avni Altiner, der Neuen Presse. Emine Oguz vom türkisch-muslimischen Verband Ditib sagte der Zeitung, die Broschüre schüre Islamfeindlichkeit.
Die Kritik entzündete sich vor allem an dort aufgeführten Punkten wie „Gewichtsverlust durch veränderte Essgewohnheiten“ oder „längere Reisen in Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung“. Auch eine „intensive Beschäftigung mit dem Leben nach dem Tod“, plötzlicher Reichtum oder plötzliche Schulden können demnach auf eine Radikalisierung hinweisen.
Solche Kriterien halte er für abwegig, betonte Ucar. Selbst nicht religiöse Menschen beschäftigten sich mit dem Leben nach dem Tod. Gewichtsverluste oder sich verändernde finanzielle Situationen könnten tausenderlei Ursachen haben. Prävention vor Extremismus sei natürlich eine staatliche Aufgabe und müsse ernst genommen werden. „Das ist aber ein sensibles Feld, das man angesichts der herrschenden islamkritischen Atmosphäre mit Fingerspitzengefühl bearbeiten muss. Ich rate zu mehr Gelassenheit und Behutsamkeit.“
Er halte es für besser, auf konkrete Hinweise von Lehrern oder Jugendarbeitern zu reagieren, sagte der Religionspädagoge. Zudem müssten auch die Moscheegemeinden in die Prävention einbezogen werden: „Sie sind nämlich die am schlimmsten Leidtragenden des religiösen Extremismus. Denn sie werden selbst häufig als Extremisten wahrgenommen, nur weil sie religiös sind.“
28 Jun 2012
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