taz.de -- Andrea Pirlos Elfmeter gegen England: Bravissimo!
Selten nimmt ein Schütze entscheidenden Einfluss auf den Ausgang eines Elfmeterschießens. Der Italiener Andreas Pirlo hat es getan. Ein Schuss in sechs Bildern.
[1][EM-Viertelfinale Italien gegen England]. Elfmeterschießen. Gerrard und Rooney haben getroffen, Balotelli ebenso. Montolivo hat verschossen. Gleich danach tritt Andrea Pirlo an. Wenn er verschießt, ist Italien so gut wie raus. Alle wissen es, er weiß es. Doch er hat eine kühne Idee und - der sichere Blick zeigt es - nicht den geringsten Zweifel, dass sie misslingen könnte. Und, man achte auf die Zunge, er freut sich diebisch über seine Idee.
Es ist ein alter Mann, der anläuft. Mit AC Milan hat der 33-Jährige zweimal die Champions League gewonnen, mit Italien wurde er 2006 Welt-meister - genau der Richtige, um Verantwortung zu übernehmen. Für seine Idee muss Pirlo hochkonzentriert sein. Und das ist er: Der Blick fixiert das Tor, der Körper ist angespannt. Und doch täuscht das Bild. Pirlo wirkt, als würde er mit großem Anlauf und voller Wucht schießen. Sein vermeintliches Ziel: die rechte Torwartecke.
Pirlo läuft wie erwartet auf den Ball zu, bricht dann aber für einen winzigen Moment abrupt ab. Anstatt mit der Gewalt eines Verzweifelten den Ball zu treten, hebt er ihn mit der leichtfüßigen Eleganz eines Balletttänzers. Er schießt den Ball nicht, er streichelt ihn - gerade so viel, dass er sich bewegt.
Es sieht spielerisch leicht aus, Pirlo hat die Arme lässig hochgezogen, er wirkt immer noch siegesgewiss, fast arrogant. Doch in Wahrheit zeigt er ganz große Fußballkunst. Ganz ähnlich hat [2][Antonin Panenka] im EM-Finale 1976 gegen Deutschland seinen Elfmeter verwandelt. Doch da führten die Tschechoslowaken. Noch mehr Mut erfordert es, so einen Lupfer bei Rückstand zu probieren.
Der Ball fliegt. Jetzt kann Pirlo nichts mehr ausrichten. Elegant wirkt er immer noch, doch die Körperspannung lässt nach. Zum ersten Mal zeigt sein Gesicht einen Hauch von Angst: Er hatte zwar eine Idee, von der er felsenfest überzeugt war. Aber er hat sehr viel riskiert. Wenn es schiefgeht, ist die EM für seine Mannschaft vorbei. Und er steht als überheblicher Trottel da.
Es klappt! Hart ist in die vorgetäuschte Ecke gesprungen. Manchmal entscheiden Torhüter den Verlauf eines ganzen Elfmeterschießens, aber ganz selten ein einzelner Schütze. Pirlo tut es. Durch seine Coolness macht er den Italienern Mut und erschreckt die Engländer. Young und Cole patzen, Italien ist weiter und Pirlo Gott.
29 Jun 2012
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