taz.de -- Debatte Rumänien und die EU: Schlagen und vertragen
Auf das politische Schmierentheater in Bukarest reagiert die EU mit parteipolitisch motivierten Solidaritätsgesten. Dabei geht es um Grundwerte.
Der suspendierte rumänische Staatspräsident Traian Basescu erklärte vergangenen Donnerstag im Fernsehen, dass weder Crin Antonescu noch Victor Ponta Rumänien im Ausland besser vertreten könnte als er. Die Erklärung des abgesetzten rumänischen Staatschefs troff vor Selbstherrlichkeit. Dreist wie ein Pokerspieler setzte er sich über die Realitäten hinweg.
Beschimpft wurden Crin Antonescu, Vorsitzender der Liberalen Partei (PNL), der zurzeit interimistisch das Amt des Staatspräsidenten ausübt, und Victor Ponta, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei (PSD) und amtierender Ministerpräsident, der im Mai die Regierungsgeschäfte übernommen hatte. Die Vorgängerregierung war durch ein Misstrauensvotum zum Rücktritt gezwungen worden.
Die Liberalen und die Sozialdemokraten haben ein Bündnis geschlossen, das sich Sozial-Liberale Union (USL) nennt und dessen erklärtes Ziel es war, Präsident Basescu zu entmachten. Offenbar mit Erfolg: Ein für den 29. Juli angekündigtes Referendum soll den Schlussstrich unter das Amtsenthebungsverfahren ziehen. Über 60 Prozent der rumänischen Wähler, so die jüngste Umfrage, dürften bei dem angekündigten Plebiszit für die Absetzung von Basescu stimmen.
Arrogante Machtspiele
Letztlich sind aber die Auseinandersetzungen zwischen dem Expräsidenten Basescu und der seit Anfang Mai amtierenden sozial-liberalen Regierung unter Victor Ponta einfach nur arrogante Machtspiele: Machtspiele, in denen mit harten Bandagen um Einfluss, um Pfründen und nicht zuletzt um internationale Anerkennung gekämpft wird. Rechtsstaatliche Prinzipien und demokratische Regeln spielen in diesem politischen Kampf eine untergeordnete Rolle.
Der durch eine Plagiatsaffäre moralisch angeschlagene Ponta erlässt munter verfassungswidrige Dringlichkeitsverordnungen mit sofortiger Wirkung, beschneidet die Kompetenzen des Verfassungsgerichts und ändert das Referendumsgesetz – das alles nur, um die Amtsenthebung von Basescu zu erleichtern.
Bereits zuvor hatte die neue Regierung die Schlüsselpositionen im staatlichen Verwaltungsapparat mit eigenen Getreuen besetzt – ganz im Sinne alter Politikgepflogenheiten, die bereits in der Zeit zwischen den Weltkriegen in Rumänien zur Alltagspraxis gehörten. Basescu seinerseits hatte in der letzten Zeit in der Bevölkerung und auch bei seinen Parteigenossen enorm an Glaubwürdigkeit verloren.
Die durch die ökonomischen Turbulenzen in der Eurozone potenzierten wirtschaftlichen Krisenerscheinungen versuchte er durch ein unpopuläres Sparprogramm in den Griff zu bekommen. Das führte zu einer Welle von Austritten aus dem eigenen Lager. Ohne Gewissensbisse liefen Abtrünnige zu anderen Parteien über und wurden von diesen mit offenen Armen aufgenommen.
Gesellschaft ohne Solidarität
Der Unmut der Wählerschaft angesichts des rigorosen Sparprogramms, der Verschlankung der Staatsbürokratie und des Verwaltungsapparats und der Kürzung der Beamtengehälter äußerte sich Anfang dieses Jahres in riesigen Protestkundgebungen, die tagelang die meisten rumänischen Großstädte beherrschten. Die rücksichtslose Durchsetzung neoliberaler wirtschaftspolitischer Vorstellungen fand nur wenig Verständnis in der Bevölkerung.
Die Demonstrierenden wollten allerdings vor allem auf ihre eigene prekäre Lage aufmerksam machen; zu einer Solidarisierung mit den direkt betroffenen Schichten kam es nicht. Soziale Marktwirtschaft und Solidarität sind in Rumänien verpönt und werden von großen Teilen der politischen Klasse als Relikte des Kommunismus abgetan.
Als Basescu 2007 das rumänische Parlament pauschal der Korruption bezichtigte und damit seinen Plan begründete, die Zahl der Volksvertreter drastisch zu reduzieren und die beiden Kammern der Legislative zusammenzuschließen, herrschte im Lager seiner jetzigen Unterstützer ein sehr lautes Schweigen. Basescu überlebte damals ein erstes Amtsenthebungsreferendum, das von seinen sozialdemokratischen Widersachern eingefädelt worden war.
Mit spiegelverkehrten, verbal verklausulierten Reflexgebärden sprangen die europäischen Sozialisten ihrem in die Kritik geratenen Bukarester Genossen Ponta zu Hilfe, wobei der lange Sündenkatalog des in den letzten Jahren zunehmend autoritär agierenden Basescu als Argumentationshilfe herhalten musste.
Orbanisierung Rumäniens?
Inzwischen wurden in manchen Zustandsbeschreibungen aber auch Vergleiche mit Ungarn gezogen. Darin war von einer „Orbanisierung“ Rumäniens die Rede, wobei jedoch vergessen wurde, auf die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede des postkommunistischen Nationalismus ungarischer und rumänischer Prägung hinzuweisen.
Sowohl in Budapest als auch in Bukarest ist der Rekurs auf vaterländische Klischees ein integraler Bestandteil der Sprache aller politischen Akteure. Völkische Ressentiments, Geschichtsbildverzerrung und nationalistische Vorurteile instrumentalisieren auf unterschiedliche Art sowohl die politischen Kräfte aus Bukarest als auch jene in Budapest. Die gelegentlich geäußerte Behauptung, die derzeitige Situation in Rumänien sei schlimmer als die in Ungarn, ist jedoch eine politische Übertreibung. Dadurch wird nur die aggressive völkische Dimension der ungarischen Orbán-Regierung heruntergespielt und die Gefahr eines in Bukarest hinter sozialliberaler Maske wiederauferstandenen Neokommunismus beschworen.
Und was macht Europa heute? Die Konservativen lassen ihrer Empörung freien Lauf und sprechen von einem Staatsstreich.
Dabei übersehen die europäischen Akteure der jeweiligen politischen Lager, das die demokratischen Prinzipien und die Normen des Rechtsstaates oberste Priorität haben sollten und nicht das Machtgerangel in Bukarest, in das zwielichtige, machtbesessene Politiker verwickelt sind. Es geht letztendlich darum, die demokratischen Institutionen zu schützen, die Unabhängigkeit der Justiz zu garantieren und um die Respektierung der Gewaltenteilung in einem EU-Staat.
16 Jul 2012
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