taz.de -- Debatte Eurokrise in Griechenland: Rettung aus Eigennutz

Die Konservativen verstehen es nicht: Sie wollen, dass Griechenland pleitegeht. Das aber hätte Folgen, die gerade CDU und FDP fürchten.
Bild: Mit Griechenland verbinden sich mittlerweile viele widersprüchliche Sehnsüchte.

Ach, wäre das schön, endlich die Griechen los zu sein! Diese Sehnsucht erfüllt inzwischen fast alle Euro-Europäer und fast alle Deutschen. Von CDU-Wählern bis zur grünen Klientel gilt: Ein drittes Hilfspaket für die Griechen will niemand. Wenn schon wieder Milliarden Euro fehlen, dann ist diesem Land eben nicht mehr zu helfen. Dann muss die Staatspleite her.

Auch das zeitliche Szenario haben sich Politiker wie FDP-Chef Philipp Rösler schon überlegt: Der Bankrott darf erst nach dem 12. September eintreten, wenn das Bundesverfassungsgericht den permanenten Rettungsschirm ESM abgesegnet hat. Dann aber sei Resteuropa gegen Folgen einer Pleite Griechenlands „abgeschirmt“.

Diese Naivität ist wirklich erstaunlich. Denn Resteuropa wäre gegen überhaupt gar nichts „abgeschirmt“. Stattdessen würde eine Pleite Griechenlands das totale Chaos auslösen. Um es für die Schnellleser schon mal in Stichworten zusammenzufassen: Italien und Spanien wären auch pleite, europaweit würden die Banken gestürmt, und der ESM würde zusammenbrechen, noch bevor er seine Geschäfte aufgenommen hat.

Wenn die Schadenfreude lockt

Und dann? Dann müssten all jene Instrumente über Nacht eingeführt werden, die gerade Rösler und Euroskeptiker wie Ifo-Chef Werner Sinn so hassen: Die Europäische Zentralbank (EZB) müsste unbegrenzt Staatsanleihen kaufen, um den unkontrollierten Eurocrash zu verhindern. Auch eine Bankenunion mit einer europaweiten Einlagensicherung ließe sich wohl nicht mehr vermeiden. Schon aus Schadenfreude würde man der Bundesregierung also gern empfehlen: Dann lasst die Griechen doch pleitegehen!

Um es nun noch einmal langsamer auszuführen: Der permanente Rettungsschirm ESM wird in jedem Fall scheitern – mit oder ohne Staatsbankrott Griechenlands. Aber eine Pleite in Athen würde den ESM sofort sprengen. Denn der Rettungsschirm kann nur 500 Milliarden Euro ausleihen und ist damit schlicht zu klein, um Spanien und Italien aufzufangen. Allein in diesem und im nächsten Jahr müssen beide Länder zusammen 752,7 Milliarden Euro auf den Finanzmärkten aufnehmen, um fällige Schulden zu tilgen und ihre Haushaltsdefizite auszugleichen.

Diese Zahlen sind übrigens nicht geheim, sondern stehen bestens sichtbar im Sondergutachten des Sachverständigenrats vom 5. Juli. Es ist also offensichtlich, dass Milliarden im ESM fehlen. Aber offenbar liest Wirtschaftsminister Rösler die Gutachten der regierungseigenen Wirtschaftsweisen nicht.

Die Summe von 752,7 Milliarden Euro klingt astronomisch und löst gerade bei Deutschen den Reflex aus: Unser schönes Geld, alles weg! Doch so schlimm wird es gar nicht kommen. Weder Italien noch Spanien sind tatsächlich pleite. Sie sind nicht Griechenland, um diesen viel zitierten Satz zu wiederholen. Spanien und Italien könnten ihre Schulden bedienen – wenn nicht panische Investoren in den Käuferstreik treten und die Zinsen in die Höhe treiben würden.

Sicher ist sicher? Eben nicht

Die Kausalität ist also nicht ökonomisch, sondern psychologisch: Je verängstigter die Investoren sind, desto dringender müssen Spanien und Italien unter den Rettungsschirm – und desto schneller wird sich herausstellen, dass der ESM nichts taugt. Falls Griechenland pleitegeht, reagieren die Anleger garantiert hysterisch. Sie alle würden auf den tautologischen Klassiker kommen: Sicher ist sicher. Sie würden ihr Geld aus Italien und Spanien abziehen – und nach Deutschland transferieren.

Die Anleger würden jedoch nicht nur die Staatsanleihen meiden, sie würden auch ihre Konten bei den Banken räumen. Nach dem beliebten Merksatz: Man weiß ja nie. Wenn Griechenland pleitegeht, vielleicht führt Italien dann irgendwann eine Lira ein. Also rettet jeder seine Euros. Diese Abstimmung am Bankautomaten und mit dem Überweisungsträger findet schon jetzt statt und hat bereits Hunderte von Milliarden Euro aus dem Süden Europas nach Deutschland gespült. Es werden also nicht nur Eurostaaten, sondern auch viele Banken in den Bankrott getrieben.

Ein solcher Crash bahnt sich nicht über Monate an, sondern ereignet sich über Nacht. Von den Politikern wird gern vergessen, was die Eurozone auch bedeutet: Hier herrscht Kapitalverkehrsfreiheit. Anleger und Sparer investieren nur, wenn sie Vertrauen haben. Genau dieses Vertrauen würde aber zerstört, wenn Griechenland pleiteginge.

Wenn der Euro dann nicht auseinanderfliegen soll, müsste die „Bazooka“ anrücken, wie die Europäische Zentralbank bereits getauft wurde. Wie eine Infanteriewaffe müsste sie Geld in den Markt schießen und so lange unbegrenzt die Staatsanleihen von Italien und Spanien aufkaufen, bis auch der letzte Investor glaubt, dass die Zentralbank es ernst meint und den Euro mit allen Mitteln verteidigen wird. Dann, und nur dann, werden die Anleger wieder freiwillig Spanien und Italien Kredit gewähren.

Gerettet werden die Gläubiger

Was die Bundesregierung so gar nicht will, wäre damit eingetreten: Die EZB würde zu einer normalen Notenbank, die wie die amerikanische Fed oder die Bank of England die Staatsanleihen ihres Währungsgebiets aufkaufen darf. So hat sich Rösler eine Pleite Griechenlands sicher nicht vorgestellt.

Überhaupt ist die Frage, wer bei einem Bankrott verliert: Griechenland oder die Eurozone? Viele Deutsche glauben, dass die Hilfskredite für Athen vor allem den Griechen zugutekämen, die damit ihren aufgeblähten Staatsapparat weiter finanzieren wollen. Dies ist ein Irrtum. Die allermeisten Milliarden sind dafür gedacht, dass die Griechen ihre Altschulden und Zinsen bedienen. In Athen kommt kaum etwas an, stattdessen werden die Gläubiger versorgt – und das sind vor allem die anderen Euroländer.

Inzwischen liegt mehr als die Hälfte der griechischen Schulden bei der EZB, der EU-Kommission und beim bisherigen Rettungsschirm EFSF. Auch die zusätzlichen 50 Milliarden, von denen nun die Rede ist, würden vor allem an diese europäischen Agenturen fließen. Daraus folgt: Eine Griechenland-Pleite wäre kein gutes Geschäft für Europa.

24 Jul 2012

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Ulrike Herrmann

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Wolfgang Schäuble

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