taz.de -- Syrischer Premier wechselt in die Opposition: Das fliehende Kabinett

Der syrische Regierungschef setzt sich mit seiner Familie nach Jordanien ab. Er wolle Soldat der Opposition werden. Weitere Minister sind möglicherweise auf der Flucht.
Bild: Abgesetzt oder übergelaufen? Der syrische Premier Riad Hijab soll sich nach Jordanien abgesetzt haben.

BERLIN taz/afp/dapd | Um den syrischen Präsidenten Baschar al Assad wird es zunehmend einsam. Während die Armee mit 20.000 Soldaten einen Kreis um Aleppo im Norden des Landes zog, platzte am Montag in Damaskus eine politische Bombe: Der syrische Regierungschef Riad Hijab lief zur Opposition über.

„Ich verkünde meinen Austritt aus dem mörderischen und terroristischen Regime, um mich der Opposition anzuschließen, deren Soldat ich werde,“ hieß es in einer Erklärung seines Sprechers Mohammed Otri gegenüber dem TV-Sender Al Jazeera. Die jordanische Regierung bestätigte, dass Hijab sich mit seiner Familie in Jordanien aufhalte.

Das staatliche Fernsehen hatten zunächst die Entlassung Hijabs gemeldet. Als sein Nachfolger wurde sein bisheriger Stellvertreter Omar Ghalawandschi berufen. Unbestätigten Berichten zufolge sollen zwei weitere Minister übergelaufen sein; ein dritter soll bei dem Versuch festgenommen worden sein. Letzteres wurde im staatlichen Fernsehen dementiert.

Hijab hatte sein Amt erst knapp zwei Monate inne. Assad hatte ihn nach den Parlamentswahlen Ende Juni ernannt. Damals habe ihn das Regime vor die Wahl gestellt, den Posten zu übernehmen oder getötet zu werden, sagte Otari laut Al Jazeera. Die Flucht sei monatelang geplant und mit Hilfe der Freien Syrischen Armee (FSA) umgesetzt worden. Der Vorsitzende des oppositionellen syrischen Nationalrats, Abdel Basset Sajda, erklärte, das Überlaufen Hijabs zeige, wie weit der „Erosionsprozess“ des politischen Führung des Landes fortgeschritten sei.

Später Prozess

Im Gegensatz zu Libyen, wo nach Beginn des Aufstandes im Februar 2011 sehr schnell führende Figuren des Regimes von Muammar al Gaddafi die Seiten wechselten, dauerte dieser Prozess in Syrien länger. Zuerst waren es junge Soldaten der regulären Armee, die mit ihren Gewehren zur Opposition überliefen. Nach und nach schlossen sich ihnen auch höhere Ränge an. Diese desertierten Soldaten bildeten im August vergangenen Jahres im Süden der Türkei den Kern der FSA.

Mittlerweile haben sich 26 hochrangige Militärs der FSA angeschlossen. Auch am Montag setzte sich wieder ein syrischer General mit fünf Offizieren und mehr als dreißig Soldaten in die Türkei ab. Bereits vor dem Schritt Hidschabs hatten acht Diplomaten, vier Abgeordnete und zwei Mitglieder der Regierung die Seiten gewechselt.

Die Tatsache, dass die Zahl der Desertationen jüngst deutlich zugenommen hat, zeigt: Auch in diesen Kreisen spricht es sich herum, dass mit Assad kein Staat mehr zu machen ist.

6 Aug 2012

AUTOREN

Beate Seel

TAGS

Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien

ARTIKEL ZUM THEMA

Krieg in Syrien: Vizepräsident setzt sich ab

Der syrische Vizepräsident Faruk al-Schara hat die Seiten gewechselt, meldet Al-Arabija. Damit wird die Unterstützung für das Regime Assads immer bröckeliger.

Ausstellung über syrische Kunst: Angst zu Ende, Regime auch

Für die Berliner Ausstellung „Kunststoff Syrien“ mussten viele Werke aus dem Land geschmuggelt werden. Alle Künstler eint die Liebe zur Revolution.

Bürgerkrieg in Syrien: Brahimi soll auf Annan folgen

Der frühere algerische Außenminister Lakhdar Brahimi hat gute Chancen, UN-Sondergesandter für Syrien zu werden. In Aleppo wird weiter gekämpft. Assad benennt neue Regierungsmitglieder.

Abschiebungen aus Libanon nach Syrien: Keine Sicherheit für Flüchtlinge

Die Sicherheitsbehörden im Libanon haben 14 Syrer ausgewiesen, weil sie angeblich Kriminelle sind. Es wird befürchtet, dass sie dort exekutiert werden.

Bürgerkrieg in Syrien: Rückzug der Rebellen in Aleppo

Die Regierungstruppen sind auf dem Vormarsch. Und Iran räumt ein, dass unter den Geiseln der Rebellen ehemalige Soldaten der iranischen Revolutionsgarden sind.

Bürgerkrieg in Syrien: Rebellen verlassen offenbar Aleppo

Die iranische Regierung sagt Assad Unterstützung gegen Syriens „Feinde“ aus dem Ausland zu. Der frühere Anwalt des „Kalifen von Köln“ ist angeblich in Syrien getötet worden.

Bürgerkrieg in Syrien: Armee rückt in Aleppo weiter vor

Den Rebellen im umkämpften Aleppo geht langsam die Munition aus. Panzer und Scharfschützen der Regierungstruppen behindern die Bewegungsfreiheit.

Bürgerkrieg in Syrien: Angst vor Sippenhaft

In den „befreiten“ syrischen Städten herrscht Furcht vor der Rückkehr der Armee. Viele Soldaten desertieren nicht – aus Angst um die Sicherheit ihrer Familien.

Bürgerkrieg in Syrien: Regierungschef ist weg

Der syrische Regierungschef Riad Hijab ist geflohen, sagen die Rebellen. Er wurde entlassen, heißt es im Staatsfernsehen. In Damaskus ist am Morgen eine Bombe explodiert.

Händler in Aleppo: Mit dem Umsturz kalkulieren

Es hat gedauert, bis der Aufstand Syriens nördliche Metropole erfasst hat. Die hiesigen Händler galten als wichtige Stütze des Assad-Regimes – bis jetzt.

Bürgerkrieg in Syrien: Beim Barte der Soldaten

Rebellen nehmen 48 Iraner als Geiseln. Es sollen Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden sein, die Assad stützen. Damaszener Aktivisten fliehen unterdessen nach Beirut.