taz.de -- Kommentar Neonazi-Datei: Erst denken, dann speichern

Die Neonazi-Datei ist eingerichtet, um ein Totalversagen der Behörden wie im Fall der NSU zu verhindern. Das hätte sie gerade in diesem Fall aber nicht.

Nie wieder ein Totalversagen wie im Fall NSU: Sehr viel versprechen sich die Sicherheitsbehörden von der Verbunddatei: Erkenntnisüberblick, gar Ermittlungserfolge. Seit Mittwoch haben 36 Behörden aus Bund und Ländern ihre Informationen über gewalttätige Rechtsextreme [1][in einer Datenbank vereint].

Hätte es eine solche Datenbank schon zu der Zeit des NSU-Trios gegeben, wären die Mitglieder dort aufgetaucht, meint Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Hätte sie aber wirklich die Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle verhindert? Nein, denn in einem waren sich die Ermittler ganz sicher: Aus rassistischen oder rechtextremen Motiven wurden die Taten nicht verübt. Hätte es so eine Datei geben, hätten sie dort also gar nicht nachgeschaut.

Bis zur Zufallsentdeckung schlossen Verfassungsschutz und Sicherheitsbehörden einen „Rechtsterrorismus“ kategorisch aus. Und was nicht gedacht wird, wird eben auch nicht gesehen.

An dieser Ignoranz in den Sicherheitsbehörden gegenüber der rechten Gewalt hat sich wenig geändert. In Niedersachsen beklagte jüngst die Landtagsfraktion der Grünen, dass die Polizei rechtsextreme Angriffe als Streit unter Jugendlichen abtat. In Sachsen beschwerte sich die Landtagsfraktion der Linken, dass die Behörden rassistische Übergriffe als unpolitisch einstuften.

Opferberatungsstellen müssen bundesweit immer noch Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte drängen, bitte mal den politischen Hintergrund wahrzunehmen. Oft sind sie es, die darauf hinweisen, dass ein Obdachloser oder ein Punk aus rechter Menschenverachtung fast totgeschlagen wurde. Ein politischer Wahrnehmungswandel ist endlich geboten. Und eine Datenbank ersetzt keine politische Sensibilität.

19 Sep 2012

LINKS

[1] /Rechtsextremismus-Datei-gestartet/!101966/

AUTOREN

Andreas Speit

TAGS

Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror

ARTIKEL ZUM THEMA

Nazi mit Kontakt zum Verfassungsschutz: V-Mann „Corelli“ und der NSU

Ein Nazi mit Verbindungen zum NSU war jahrelang Spitzel des Verfassungsschutzes. Thomas R. lieferte auch Informationen aus dem Ku-Klux-Klan.

Daten von Rechtsextremen: Anti-Terror-Datei vor Gericht

Polizei- und Geheimdienstbehörden kooperieren bei der Rechtsextremismus-Datei. Ob sie das dürfen, entscheidet bald das Bundesverfassungsgericht.

Rechtsextremismus-Datei gestartet: Versager vernetzen sich

Rechtsextremisten mit Gewaltbezug werden in einer Datei verzeichnet. So wollen die Sicherheitsbehörden tatsächlich Informationen austauschen.