taz.de -- Prozess gegen Pussy Riot vertagt: Neue Anwälte, bitte
Vertagt: Das Berufungsverfahren gegen Pussy Riot findet am 10. Oktober statt. Eine der Künstlerinnen hat ihre Anwälte ausgetauscht.
MOSKAU taz | Das Berufungsverfahren im Fall Pussy Riot vor dem Moskauer Stadtgericht begann am Montag mit einer Überraschung. Die Angeklagte Jekaterina Samuzewitsch teilte dem Gericht mit, dass sie auf die Vertretung durch ihre bisherigen Anwälte verzichten wolle. Ihre Position decke sich nicht mit denen der Anwälte. Da sie nun ohne Rechtsvertretung sei, könne das Verfahren nicht fortgesetzt werden. Zunächst wollte das Gericht dem Antrag nicht stattgeben. Da die Beklagte aber bereits einen neuen Rechtsvertreter benennen konnte, vertagte sich das Stadtgericht auf den 10. Oktober.
Die beiden Mitangeklagten Nadja Tolokonnikowa und Mascha Alechina, die von den gleichen Anwälten vertreten werden, hoben die Mandate nicht auf. Die Vertreter der Klägerseite vermuteten unterdessen, dass die Verteidigung der Frauenpunkband nur Zeit gewinnen wolle. Das nächste Mal würde dann eine der anderen Beklagten sich nicht mit mehr von ihrem Rechtsbeistand vertreten fühlen, meinte einer der Staatsanwälte.
Zur Erinnerung: Am 17. August waren die Aktionskünstlerinnen der Punkband Pussy Riot von einem Moskauer Gericht zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Sie hatten im Februar kurz vor den Präsidentschaftswahlen im Heiligtum der russisch orthodoxen Kirche, der Christi Erlöser Kathedrale, ein Stoßgebet abgehalten und die Mutter Gottes um Mithilfe gebeten, Präsident Wladimir Putin zu vertreiben. Das Gericht verurteilte die Frauen wegen Rowdytums und des Schürens religiösen Hasses.
Orthodoxe Kirche und Kreml veranstalteten eine Hexenjagd nach den Aktionskünstlerinnen. Dadurch wurde der Fall zu einem Politikum, der in der russischen Gesellschaft einen tiefen Graben aufzeigte: Zwischen den vormodern-patriarchalisch-antimodernistischen Kräften und den städtischen reformorientierten Mittelschichten.
Vor dem Moskauer Stadtgericht hatte sich vor der gestrigen Berufungsverhandlung eine illustre Gesellschaft versammelt. Vor allem orthodoxe Christen waren erschienen, die mit Gebet, Gesang, Ikonen und Kreuzen sich der Heimsuchung durch den Satan zu erwehren versuchten. Neben ihnen stand ein Politagitator und Einzelkämpfer aus „Putinostan“, der sich den Titel „Chalif-Sultan“ zugelegt hatte und zur Melodie der Internationalen eine Anti-Putin-Klage in Balladenlänge zum Besten gab. Auch einige Anhänger der Frauenband waren gekommen. Als Erkennungszeichen trugen sie Buttons mit den stilisierten Sehschlitzen der Pussy-Riot-Masken.
1 Oct 2012
AUTOREN
ARTIKEL ZUM THEMA
Das Berufungsurteil bestätigt Haftstrafen für zwei Pussy-Riot-Mitglieder, lässt aber eine Frau auf Bewährung frei. Sie hatte an der Protestaktion gar nicht teilgenommen.
Das neue Urteil zu Pussy Riot ist auch ein Signal an die Opposition im Land: Wir geben nicht nach – du kannst schon der Nächste sein.
Überraschendes Urteil im Berufungsprozess zu Pussy Riot: In einem Fall wurde die Strafe auf Bewährung ausgesetzt. Die anderen Musikerinnen müssen zwei Jahre ins Straflager.
Die anhaltische Stadt Wittenberg hat die Band Pussy Riot für den Lutherpreis vorgeschlagen. Dagegen wehren sich jetzt Kirchen- und Bürgervertreter.
Am Montag findet das Berufungsverfahren gegen drei Musikerinnen von Pussy Riot statt. Im Untergrund organisiert Schljapa die Band.
Bernadette La Hengst ist die Stimme des deutschen Popfeminismus. Schöne Mädchen singen über Herzschmerz, sagt sie – und haben sonst wenig zu sagen.
Gänsehaut garantiert: In „Putins Kuss“ wird die junge Mascha zur Parteisoldatin – bis sie sich mit einem regimekritischen Blogger anfreundet.
Die permanente Aufforderung zum Engagement hat längst die Form einer zivilgesellschaftlichen Generalmobilmachung angenommen. Eine Widerrede.