taz.de -- Kommentar Syrien-Türkei: Die Türken wollen keinen Krieg

Das türkische Parlament genehmigt Militäreinsätze im syrischen Grenzgebiet. Das Ziel ist nicht das Assad-Regime, sondern die kurdische Bevölkerung.
Bild: Straßensperre nach einem Anschlag der PKK.

Keine Frage, der Einschlag von Granaten im türkischen Städtchen Akcakale, der fünf Tote forderte, bedeutet eine deutliche Eskalation zwischen der Türkei und Syrien. Zum Auslöser für einen offenen Krieg zwischen den beiden Staaten taugt er aber nicht – Anlass für eine Nato-Intervention gibt er schon gar nicht.

Ungewöhnlich schnell kam für den Vorfall die Entschuldigung aus Damaskus und die Versicherung, dass ein solches Versehen nicht wieder vorkommen werde. Für das Assad-Regime würde ein Krieg mit dem Nato-Staat Türkei den schnellen Untergang bedeuten.

Schon heute hat die syrische Armee oft Schwierigkeiten, Bodeneinsätze durchzuführen. Zu viele Soldaten desertieren und der Widerstand vieler BewohnerInnen ist nicht zu unterschätzen. Aber auch die Türkei hat kein Interesse an einem Krieg gegen Assad. Genauso schnell wie die ersten Vergeltungsschläge von der türkischen Armee kamen, trat die Regierung Erdogan den Spekulationen über einen ernsthaften Gegenangriff entgegen.

Der Grund: Breite Teile der türkischen Bevölkerung lehnen einen großen Militäreinsatz ab. Denn ein Krieg mit der hochgerüsteten Armee Syriens würde nicht ohne massive Verluste abgehen. Letzlich zeigen auch die Nato-Verbündeten keinerlei Interesse an einem Syrien-Abenteuer. Statt militärischer Zusagen gibt es aus Brüssel nur warme Worte der Solidarität und den Aufruf zur Besonnenheit.

Kein Militärschlag zu erwarten

Und nach der schnellen und überraschend scharfen Verurteilung des syrischen Angriffs auf die Türkei, dürfte auch der UN-Sicherheitsrat den Fall als abgeschlossen betrachten. Halten wir fest: Die scharfe Rhetorik soll kompensieren, dass im Moment keine Partei auch nur vorhat, gegen Assads Soldaten militärisch vorzugehen.

Innenpolitisch erweist sich der Vorfall für die Regierung Erdogan indessen als äußerst nützlich. Ankara ist es schon lange ein Dorn im Auge, dass die kurdischen Gebiete jenseits der türkischen Grenze weitgehend von der PKK-nahen Partei der Demokratischen Union (PYD) kontrolliert werden. Mit der Ermächtigung hat das türkische Parlament dem Militär nun Carte Blanche gegeben. Es kann jederzeit Operationen in den kurdischen Gebieten durchführen.

Wenn nach dem Nordirak auch das kurdische Nordost-Syrien Autonomierechte bekäme, könnte das ähnliche Bewegungen in Ostanatolien motivieren – für die türkische Staatsdoktrin ein absolutes Tabu. Ganz abgesehen vom aktuellen Zwischenfall bleibt für die türkische Regierung die Grenze zu Syrien ein Pulverfass.

Über 90.000 registrierte Flüchtlinge stellen die strukturell schwachen Regionen schon jetzt vor große Probleme. Zunehmend kommt es zu Übergriffen der lokalen Bevölkerung auf syrische Flüchtlinge. Spätestens wenn in Syrien der Winter beginnt, werden weitere Flüchtlinge die Grenze passieren. Wie Ankara mit den Flüchtlingen umgehen wird, wird für den Frieden zwischen den beiden Ländern entscheidender sein als ein paar fälschlich abgefeuerte Granaten.

5 Oct 2012

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