taz.de -- Floskeln zum Fall Schavan: Alle lieben Annette

Die Bildungsministerin genießt das „vollste Vertrauen“ der Kanzlerin und ihrer Parteifreunde. Was sind die Floskeln wert? Eine Decodierung.
Bild: Wennich dit doch saje, Annett, mein vollstet Vertrauen, wa.

Annette Schavan ist absolut vertrauenswürdig. Eine hervorragende Ministerin. Eine großartige Person, allseits beliebt, völlig unumstritten, hundertzehnprozentig. Jedenfalls wenn man den Beteuerungen ihrer Parteifreunde glaubt.

Doch wie steht es wirklich um die Bildungsministerin, die unter Verdacht steht, bei ihrer Promotion abgeschrieben zu haben? Schavans Verteidiger greifen im Moment zu drei sprachlichen Grundmustern, die alle eines gemeinsam haben: Sie meinen etwas völlig anderes als es der Wortlaut suggeriert. Eine Begriffsklärung in lexikalischen Fußnoten:

Ver|trau|en, das. Steigerungsformen: volles, vollstes. Beispiel: „Die Ministerin hat mein vollstes Vertrauen“, Angela Merkel am 15. Oktober über Schavan. Täuscht Wertschätzung vor. Klingt, als genieße die Betroffene die unbedingte Unterstützung dessen, der ihm das Vertrauen ausspricht.

Ist eine nichtssagende Floskel, die sich – wenn überhaupt – nur auf den flüchtigen Ist-Zustand bezieht. Wird oft und gerne von der Kanzlerin verwendet, wenn sie die politische Sachlage nicht abschließend beurteilen will und sich alle Optionen offenhält. Rückt den Floskelnutzer bei endgültig nachgewiesener Verfehlung des Gelobten in ein gutes Licht, weil Letzterer das Vertrauen ja ohne Not enttäuscht hat. Kündigt oft Rücktritte an (siehe auch: Karl-Theodor zu Guttenberg, Christian Wulff).

Gegen|an|griff, der. Beispiel: Es sei ein „unmögliches Verhalten“, dass das kritische Gutachten zur Doktorarbeit an die Medien durchgestochen wurde. Annette Schavan am 14. Oktober über die Universität Düsseldorf. Beliebtes Täuschungsmanöver. Wird von Politikern aller Lager gerne und häufig benutzt. Eröffnet einen unwichtigen Nebenkriegsschauplatz – die böse Uni sticht durch! –, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vom eigentlich brisanten Sachverhalt – hat Schavan getäuscht? – abzulenken.

Wird häufig mit Medienkritik verbunden, Christian Wulff klagte während seiner Affäre wiederholt über zudringliche Journalisten, die unzulässige Fragen zu seinem Privatleben stellten. Verschafft dem Floskelnutzer im besten Fall eine Atempause, verhindert aber selten eine Aufklärung der Affäre.

Lob, das. Steigerungsformen: großes, ehrliches. Beispiel: „Sie ist eine überaus erfolgreiche Bildungsministerin.“ CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe am 15. Oktober über Schavan. Hebt scheinbar die Verdienste der Gelobten hervor und unterstreicht deren angebliche Unersetzlichkeit. Sagt in Wirklichkeit nichts über das politische Ansehen der oder des Gelobten in ihrer oder seiner Partei aus – Norbert Röttgen galt in der CDU bis zu seiner Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen und dem Rauswurf aus dem Kabinett als großes politisches Talent.

Floskel kann ein Signal dafür sein, dass der oder die Gelobte zunehmend als Belastung empfunden und für verzichtbar gehalten wird. Kündigt deshalb ebenfalls oft Rücktritte an. Wird danach von Parteifreunden in Windeseile umgewandelt in: Sie hat sich stets bemüht.

17 Oct 2012

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Ulrich Schulte

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