taz.de -- Plagiatsexperte über Schavan: „Keine wissenschaftliche Arbeit“
Der Plagiatsexperte Stefan Weber hat sich die Vorwürfe gegen Bildungsministerin Schavan genau angeschaut. Soll sie ihren Titel verlieren? „Jein“.
taz: Herr Weber, sollte Bildungsministerin Annette Schavan der Doktortitel entzogen werden?
Stefan Weber: Vorgestern hätte ich noch gesagt: Ja. Heute sage ich: Jein. Die 92 Seiten in Schavanplag habe ich sehr genau durchgearbeitet. Das ist keine wissenschaftliche Arbeit. Es wurde wiederholt und methodisch von anderen Quellen abgeschrieben, ohne sie an den entsprechenden Stellen zu nennen. Damit ein Doktortitel aberkannt werden kann, müssten auch die Rechtsprechung vor 1980 und die Methodenliteratur zum wissenschaftlichen Arbeiten geprüft werden. Die Täuschungsabsicht ist für jeden Wissenschaftler eindeutig nachgewiesen, wir müssen aber auch die historische Dimension betrachten.
Worin unterscheiden sich die Plagiate von Frau Schavan und Herrn Guttenberg?
Guttenberg hat so glasklar von anderen Arbeiten plagiiert, dass seine Arbeit für jeden Erstsemestester-Studenten als Plagiat identifizierbar ist. Bei Frau Schavan ist der Fall komplizierter, man muss die Vergleichstexte sehr genau lesen, um die plagiierten Stellen zu finden. Die Unterschiede sind haushoch, daraus folgt aber nicht automatisch, dass man wegen dieser Unterschiede Frau Schavan den Doktortitel nicht aberkennen soll. Frau Schavan hat nicht direkt abgeschrieben, sie hat aber zum Beispiel einen Absatz von Luhmann umgeschrieben und dies dem Leser gegenüber als ihre eigene Ausführung präsentiert. Der Diebstahl geistigen Eigentums liegt bei Guttenberg und Schavan vor.
Nach einer Studie der Universitäten Würzburg und Bielefeld hat jeder fünfte deutsche Student in den letzten sechs Monaten ein Plagiat abgegeben. Wundert Sie das?
Bei solchen Befragungen gilt: Die Dunkelziffer ist meistens noch höher. Ich schätze, dass der Anteil der Studierenden, die in den letzten sechs Monaten ein Plagiat abgegeben haben, auf 25-30 Prozent – weil es immer Lehrveranstaltungen gibt, bei denen man keinen Bock hat, weil der Lehrbeauftragte so unmotivierend ist. Die Hemmschwelle dies zu tun, ist sicherlich in den vergangenen Jahren drastisch gesunken.
Laut dieser Studie bleiben 94 Prozent der Plagiate unentdeckt. Wie lässt sich das erklären?
Das hängt auch mit der akademischen Kultur zusammen. Viele Leute vergeben gern gute Noten, damit ihre Beliebtheit bei den Studenten steigt und letztlich das Institut viele Absolventen hervorbringt. 94 Prozent der Plagiate bleiben unentdeckt, weil die Universitäten überhaupt kein Interesse haben, ein Plagiat aufzudecken. Warum nicht? Sie machen sich unbeliebt bei der Studentenschaft, es gibt langwierige Diskussionen mit Plagiatoren, die auch gleich mit dem Rechtsanwalt drohen. Man will dem juristisch und sozial aus dem Weg gehen. Wenn man mal ein Plagiat entdeckt, bekommt man meist einen Rüffel von den Professoren. Man will das nicht. Ein emeritierter Professor hat es sogar als Belästigung empfunden, dass er jetzt mehr oder weniger von den neuen Technologien gezwungen wird, Suchmaschinen anzuwerfen.
Im Internet suchen Plagiatsjäger gezielt nach plagiierten Stellen in Doktorarbeiten von Politikern. Fördert dies nicht auch eine Kultur der Denunziation?
Die Vorwürfe sind ja meistens belegbar. Natürlich haben die Leute, die so etwas melden, auch ihre Motive. Der Grund kann auch sein, dass man jemanden denunzieren will und dann froh ist, dass man etwas findet, wie eben ein Plagiat.
Hat die Debatte über die Arbeit von Frau Schavan der Wissenschaft geschadet?
Für die Politik kann die Debatte negative Auswirkungen haben, weil womöglich immer weniger Leute eine politische Karriere in der Öffentlichkeit anstreben. Für die Wissenschaft kann diese ganze Diskussion nur von Vorteil sein. Natürlich sind die Fehler von Frau Schavan mitunter peinlich für die Wissenschaft. Wenn Sie „Konstitution“ als „Konsistenz“ „abschreibt“, ist das peinlich. Aber der langfristige Effekt ist, dass die Qualität der Doktorarbeiten steigt, weil die Leute jetzt gefordert sind, mehr Eigentext zu schreiben und eigene Interpretationen zu entwickeln.
17 Oct 2012
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