taz.de -- Kommentar Libyen: Der Präsident kann es schaffen
Gaddafi-Anhänger leisten in Libyen weiter Widerstand. Ihnen hat die neue Armee den Kampf angesagt. Doch das Land hat noch mehr Probleme.
Über ein Jahr lang konnten sich Khamis Gaddafi und Propagandachef Moussa Ibrahim in Beni Walid verstecken. In dem Wüstennest zwei Autostunden südlich von Tripolis sympathisiert die Mehrheit immer noch mit dem ehemaligen Regime. Aber auch im lange befreiten Sirte wie in Teilen von Tripolis stehen viele der Revolution kritisch gegenüber.
Tatsächlich machen es die neuen Machthaber ihren Kritikern leicht. Ein Jahr nach dem offiziellen Ende der Revolution hat Libyen keine Armee, keine funktionierende Polizei und keine Justiz. Es herrscht de facto Anarchie. Libyen ist von Gaddafi befreit, aber die Kultur des alten Regimes lebt weiter: Gleichgesinnte halten zusammen und pflegen die Vetternwirtschaft. Genau dagegen hatten die jungen Leute letztes Jahr in Bengasi demonstriert. Erst als Gaddafi auf sie schießen ließ, begann der Kampf gegen das Regime.
Nach erlangter Freiheit terrorisierten in Bengasi plötzlich militante Islamisten die moderate Mehrheit. Angeleitet von der nach Algerien geflüchteten Gaddafi-Familie, die mit ihren ins Ausland geschafften Millionen den Widerstand organisiert. Die neue Armee hat den Islamisten und Regimetreuen nun den Kampf angesagt.
Die Wahlergebnisse vom Juli zeigen deutlich, dass die Libyer mehrheitlich einen demokratischen Staat, einen moderaten Islam und Versöhnung mit den ehemaligen Regimeanhängern wollen. Gleichzeitig akzeptierten nach einem Jahr Chaos viele nun einen starken Staat; nach 42 Jahren Diktatur hatten sie diesen noch bis vor wenigen Monaten abgelehnt.
Hoffnung gibt, dass der neue Premier Ali Zeidan von allen Seiten akzeptiert wird und sich der Versöhnung verschrieben hat. Klarerweise hat die libysche Bevölkerung noch wenig Erfahrungen mit demokratischen Prozessen. Wenn Zeidan scheitert, droht Libyen langfristig die Spaltung.
21 Oct 2012
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