taz.de -- Kommentar zu Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger: Hilfe statt Strafe

Das Problem in Deutschland ist nicht, dass es zu viele Arbeitslose gibt, die nicht arbeiten wollen. Das Problem ist, dass es zu wenige freie Stellen gibt.
Bild: Ralph Boes: Nach seinem Fernsehauftritt diffamierte ihn die Bildzeitung als Hartz-IV-Schnorrer.

Warum gibt es eigentlich so viele Arbeitslose in Deutschland? Weil sie sich nicht genug anstrengen. Dieser Grundgedanke steckt jedenfalls hinter den Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger. Die Sanktionen bestrafen diejenigen, die nicht pünktlich zu ihren Terminen beim Amt erscheinen, die eine Weiterbildungsmaßnahme ablehnen oder keinen 1-Euro-Job machen wollen. Aber was würde es denn helfen, wenn ab morgen alle Hartz-IV-Empfänger all diesen Pflichten nachkämen? Wie stark würde die Arbeitslosigkeit dadurch sinken? Genau: Gar nicht.

Das Problem in Deutschland ist nämlich nicht, dass es zu viele Arbeitslose gibt, die nicht arbeiten wollen. Das Problem ist, dass es zu wenige freie Stellen gibt. Und es gibt genug Arbeitslose, die dringend einen Job suchen. Die zu allen Terminen pünktlich kommen. Die liebend gerne jede Weiterbildung machen, die sie wirklich für einen guten Job qualifiziert.

Sanktionen abschaffen

Unter diesen Umständen sollte die Aufgabe der Jobcenter sein, jene in Arbeit zu bringen, die das wollen und bei denen das realistisch ist. Und alle anderen? Warum sollte man die mit Sanktionen behelligen – wenn doch eh klar ist, dass es am Ende keinen Job für sie gibt? Mit „Fördern und Fordern“ – so wie es die rot-grüne Bundesregierung behauptete, die das System einführte – ist das jedenfalls nicht zu erklären. Es macht mehr den Eindruck, als ob es bei den Sanktionen darum geht, Langzeitarbeitslose zu diskriminieren und zu schikanieren. Was sie allerdings bräuchten, wäre Hilfe statt Strafe.

20 Nov 2012

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Sebastian Heiser

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Peter M. ist freischaffender Schlagzeuger. Er mag seine Arbeit, leidet aber unter Existenzängsten. Seine Selbsteinschätzung: mittelloser Akademiker.