taz.de -- Pinar Selek soll lebenslang ins Gefängnis: „Beispiellose Prozessfarce“

Ein türkisches Gericht hat die Soziologin Pinar Selek wegen eines angeblichen Bombenanschlags zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Selek will Asyl beantragen.
Bild: Kritiker des seit anderthalb Jahrzehnten andauernden Verfahrens gegen Pinar Selek sprechen von einem Justizskandal.

ISTANBUL afp | Ein Gericht in der türkischen Metropole Istanbul hat die in Deutschland und Frankreich lebende Soziologin [1][Pinar Selek] trotz mehrerer vorheriger Freisprüche erneut wegen Beteiligung an einem angeblichen Bombenanschlag zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht schloss sich damit am Donnerstag einem Urteil des Obersten Berufungsgerichtshofs an. Selek kündigte an in Frankreich Asyl zu beantragen.

Die 41-jährige Selek, die derzeit in Straßburg studiert, war bei der Urteilsverkündung nicht anwesend. Als Anhängerin der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) soll sie im Jahr 1998 bei einem Anschlag im Gewürzbasar von Istanbul den Tod von sieben Menschen verschuldet haben. Mehrere Gutachter erklärten jedoch zu dem Vorfall, nicht eine Bombe, sondern ein Gasbehälter sei explodiert.

Obwohl die Angeklagte gefoltert und im Verlauf des Rechtsstreits mehrmals freigesprochen wurde, befand sie der Berufungsgerichtshof für schuldig und ordnete die Neuverhandlung gegen Selek und vier weitere Angeklagte an. Selek selbst wurde im Jahr 2000 aus der Haft entlassen und ging ins Ausland. Sie sagte vor Bekanntgabe der Entscheidung, im Fall eines endgültigen Freispruchs wolle sie in die Türkei zurückkehren.

Kritiker des seit [2][anderthalb Jahrzehnten] andauernden Verfahrens sprechen von einem Justizskandal. Nach der Entscheidung sagte der Anwalt Ercan Sen im türkischen Fernsehsender NTV, das Verfahren sei noch nicht zu Ende. Der Schriftstellerverband PEN-Zentrum Deutschland sprach von einer „beispiellosen Prozessfarce“. „Derselbe Richter, der Pinar Selek dreimal freigesprochen hat“, habe nun die „definitive Aufhebung des Freispruchs“ bestätigt.

„Faschisten“

Viele Unterstützer Seleks, auch Gäste aus Deutschland und anderen europäischen Staaten, waren am Donnerstag zur Gerichtsentscheidung nach Istanbul gekommen. Einige Zuschauer beschimpften die Richter als „Faschisten“. Laut PEN-Zentrum geht das Urteil nun zur Bestätigung erneut an das Oberste Berufungsgericht.

Selek selbst sagte AFP nach dem Urteil in Straßburg, sie werde nun Asyl in Frankreich beantragen. Das Verfahren bezeichnete sie als „schwierig, aber ich werde bis zum Ende Widerstand leisten“. Die Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir erklärten in Berlin, der Urteilsspruch dürfe „nicht das letzte Wort sein“. Er basiere „auf absurden und fadenscheinigen Vorwürfen“ und sei „politisch“ motiviert.

25 Jan 2013

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