taz.de -- Kommentar Energetische Sanierung: Armut durch gedämmte Fassaden

Fassaden, neue Fenster und Aufzug lassen die Miete manchmal um 100 Euro oder mehr hochschnellen. Die Regierung muss sich kümmern.
Bild: Renovierungsarbeiten an einem Altbau in Berlin-Friedrichshain.

Die Vorhaben klingen so gut: Gedämmte Fassaden, Isofenster und Aufzüge sollten die Wohnungen in Deutschland menschenfreundlicher machen. Die Heizkosten verringern sich, alte Menschen kommen dank des Lifts wieder mehr an die frische Luft. Super. Theoretisch.

In der Praxis haben sich Modernisierungen und darunter auch die energetische Sanierung zum Schreckgespenst vieler Mieter in den Ballungszentren entwickelt. Fassaden, neue Fenster, Aufzug – hoch geht die Miete. Manchmal um 100, 150 Euro oder sogar mehr.

Für Leute, deren Haushaltsplanung auf Kante genäht ist, können solche Mietsteigerungen bedeuten, dass sie sich entweder anderswo eine Bleibe suchen müssen, was aber aufgrund der hohen Angebotsmieten nicht billiger wird. Oder sie schränken sich in der Lebensführung ein. Armutsgefährdete Haushalte bezahlen schon jetzt die Hälfte ihres Einkommens für Wohnkosten.

Dabei sind die Modernisierungsgesetze ein Skandal. Eigentümer können jährlich 11 Prozent der Kosten für die Modernisierung auf die Mieter umlegen, in neun Jahren ist die Sanierung damit komplett bezahlt: von den Mietern. Der Investor kassiert danach weiter den hohen Mietzins. Praktisch.

Energetische Sanierung, nein Danke

Das hätten die Verfechter der energetischen Sanierungen wohl nicht gedacht, dass sie irgendwann mal als Ignoranten dastehen könnten, lebensfern wie teure Bioläden inmitten eines sozialen Brennpunktes. Die Vorstöße der SPD und der Grünen, die Modernisierungsumlage für Bestandsmieter zu beschränken, gehen daher in die richtige Richtung.

Die Linke will die Umlage sogar auf 5 Prozent strecken, dies würde die Mieterhöhungen nach Sanierungen halbieren. Vielleicht wird dann weniger modernisiert. Sei’s drum. Ein Kompromiss muss gefunden werden. In der nächsten Bundesregierung.

1 May 2013

AUTOREN

Barbara Dribbusch

TAGS

Gentrifizierung
Stadt
Schwerpunkt Armut
Mieten
Sanierung
Berlin
Gentrifizierung

ARTIKEL ZUM THEMA

MIETENPROTEST: Walpurgis-Wut im Wedding

Mit der "Antikapitalistischen Walpurgisnacht" will ein linkes Bündnis zum zweiten Mal gegen die Folgen der Gentrifizierung protestieren

Subventioniertes Wohnen: Studenten, ab in die Platte

Nach Veddel und Wilhelmsburg fördert die Stadt nun in Mümmelmannsberg günstigen Wohnraum für Studierende. Kritiker wittern Gentrifizierung.

Gentrifizierung in Berlin: Wedding ist Wedding

Erst kamen die Künstler, dann die Galerien, die schicken Läden. Dann wurden die Wohnungen teurer. Doch so schnell geht der Stadtteil Wedding nicht verloren.

Die Wahrheit: Unter Wohnungssuchern

Taucht doch einmal etwas Mietbares auf dem Markt auf, erscheinen beim Besichtigungstermin 100 Gentrifizierungszombies.