taz.de -- Neues Album von Austra: Schöne Melodien, schräge Harmonien
Düster, magisch, intensiv: „Olympia“, das neue Album der kanadischen Band Austra ist eine femagressive Kampfansage an das Schubladendenken im Pop.
Verträumt, melancholisch und zugleich hoffnungsvoll stimmt dieser dichte Klangkosmos. Opernhafter Gesang wird kombiniert mit Synthesizern und tanzbaren Beats. Ohne nach einem Kompromiss zu klingen, treffen schöne Melodien, schräge Harmonien und Technoelemente aufeinander.
Treibende Kraft von Austra ist die aus Lettland stammende Sängerin Katie Stelmanis. Nicht nur in der auditiven, sondern auch in der visuellen Ästhetik ist sie eine lebendige Inspirationsquelle. Inzwischen dürfte sie alle möglichen Haarfarben getragen haben, aktuell lässt sich ihre lange Mähne als ein rotstichiges Platinblond beschreiben und stellt einen Kontrast zu ihren knallroten Lippen dar.
Was ihr Erscheinungsbild anbelangt, tritt die komplette Band, mittlerweile vom Trio zum Sextett gewachsen, generell flamboyant auf. Die Kombination aus schrägen und modischen Teilen ist vor allem eins: extrem stilvoll. Man sieht, dass es sich nicht um Verkleidungen, sondern um den Ausdruck des Selbst handelt.
Stelmanis selbst verortet sich als queer. Im Interview mit [1][Motor.de] definiert sie diesen Begriff folgendermaßen: „Für mich beinhaltet das Wort alle Aspekte jeder Form von Sexualität. Es ist einfach die alternative Version von Wörtern wie ’schwul‘ oder ’lesbisch‘, die offener und moderner klingt. Und ich bin offen für alles, deshalb würde ich mich als ’queer‘ bezeichnen.“ Queerness bedeutet auch Fluidität und lässt sich somit wunderbar auf Austra übertragen.
Wie im Video zu „Home“ deutlich wird, gelten hier keine heteronormativen Geschlechtergrenzen, sondern es wird genderbendet, was das Zeug hält. Da kann der Schlagzeuger Dorian Wolf auch Make-up und Nagellack tragen, ohne dass es auf irgendeine Weise kommentiert werden muss. Genauso sieht es auch mit der politischen Einstellung aus. Sie spielt keine zwangsläufige Rolle für die Musik, sondern ist eine positive Nebenerscheinung im Austra-Kosmos.
Im Fotoprojekt „Riot Grrrl“ der Berliner Fotografin Alicia Kassebohm ließen sich Stelmanis und ihre Backgroundsängerin Romy Lightman neben Beth Ditto als Figuren des zeitgenössischen Feminismus ablichten. „Es ist cool, femagressive zu sein“, sagt die 1985 geborene Frontfrau. Der wütendste Song des neuen Albums ist definitiv „I don’t care (I’m a man)“. Er ist mit einer Spielzeit von knapp einer Minute kurz und schnurz. Gerade das macht ihn aussagekräftig. Durch das Ausbleiben der sonst typischen Tanzbarkeit wirkt er besonders düster.
Was Stelmanis’ Songwriting auszeichnet, ist, dass ihr der Klang von Worten wichtiger als ihr Sinn erscheint. Das sorgt für viel Interpretations- und Identifikationsraum. Ähnlich mystisch wird es, wenn es um den Bandnamen geht. Austra ist nämlich nicht nur der zweite Vorname von Stelmanis, so heißt auch die Lichtgöttin in der lettischen Mythologie.
Ob New Wave, Elektropop oder auch Witch House, Austra wurden schon in viele Schubladen gesteckt, allein, sie werden der Band nicht gerecht. Auch an Vergleichen mangelt es nicht, so wird Stelmanis ständig eine Ähnlichkeit mit Fever Ray bescheinigt, dem Soloprojekt von Karin Dreijer-Anderson, einer Hälfte des schwedischen Duos The Knife. „Ich fühle mich mit diesem Vergleich sehr wohl“, erzählt Stelmanis. Analogien hin oder her, Austra lässt sich nicht definieren, sie machen etwas Eigenes.
Austra, „Olympia“ (Domino/Goodtogo
18 Jun 2013
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