taz.de -- „Schwarzer Donnerstag“ in Stuttgart: Milde Urteile gegen Polizisten
Drei Jahre nach dem S21-Polizeieinsatz verurteilt das Gericht drei Polizisten zu Geld- und Bewährungsstrafen. Der Opferanwalt kritisiert „Alibi-Urteile“.
FRANKFURT/M. taz | Die Enttäuschung ist ihm anzumerken: „Ich halte diese Alibi-Urteile für zu milde – gerade bei der Schwere der Verletzungen“, kommentiert der Freiburger Opferanwalt Frank-Ulrich Mann die Strafbefehle des Amtsgerichts Stuttgart gegen drei Polizisten.
Diese waren am 30. September 2010 am gewaltsamen Polizeieinsatz gegen Stuttgart-21-Gegner beteiligt. Bei dem „schwarzen Donnerstag“ wurden mehr als 400 Demonstranten teilweise schwer verletzt. Besonders der Einsatz von Wasserwerfern sorgte für große Aufregung, das Bild des an den Augen blutenden Rentners Dietrich Wagner, der durch den Beschuss fast vollständig erblindete, ging um die Welt.
Wegen „fahrlässiger Körperverletzung im Amt“, so eine Sprecherin des Amtsgerichts, wurde gegen zwei der an diesem Einsatz beteiligten Beamten – den Kommandanten eines Wasserwerfers sowie den Staffelführer – nun eine Freiheitsstrafe von jeweils sieben Monaten auf Bewährung ausgesprochen, gegen den dritten Beschuldigten eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu 40 Euro.
Da einer der Polizisten die Strafe bereits akzeptierte, ist diese rechtskräftig. Die anderen beiden haben Einspruch eingelegt – wenn sie diesen nicht zurückziehen, kommt es zu einer öffentlichen Verhandlung. In dieser will Anwalt Mann, der Wagner und drei weitere Schwerverletzte vertritt, den Polizisten Vorsatz nachweisen. Würde dies gerichtlich bestätigt, würden die Beamten wohl vom Dienst suspendiert.
„Mappus wollte den Polizeieinsatz unbedingt“
Mann beklagt, „dass die wirklich Verantwortlichen für diese Taten bisher nicht zur Rechenschaft gezogen wurden“. Gemeint sind Exministerpräsident Stefan Mappus (CDU) und Stuttgarts ehemaliger Polizeipräsident Siegfried Stumpf. Ähnlich sieht dies auch Matthias von Herrmann, Sprecher der Parkschützer: „Es ist kein politischer und kein juristischer Wille zu erkennen, die Vorfälle wirklich aufzuarbeiten“, beklagt der 40-Jährige. Er kritisiert die Ungleichbehandlung von Beamten und Demonstranten. „Leute aus der Widerstandsbewegung werden kriminalisiert und die Polizisten zeigen nicht einmal Rechts- und Schuldbewusstsein, wenn sie die Strafbefehle anfechten.“
Hans-Jürgen Kirstein von der Polizeigewerkschaft Baden-Württemberg hingegen beklagt, dass seine Kollegen nun vor Gericht stehen, während die damals verantwortlichen Politiker nicht zu ihrer Verantwortung stehen würden. „Mappus wollte den Polizeieinsatz unbedingt.“
27 Aug 2013
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Stefan Mappus (CDU) könnte vor dem U-Ausschuss über die Räumung des Schlossparks gelogen haben. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft.
2010 kaufte das Land Baden-Württemberg den Energiekonzern EnBW – für zu viel Geld, hieß es bislang. Ein neues Gutachten widerspricht.
Nun aufgetauchte E-Mails lassen vermuten: Die gewaltsame Räumung des Schlossparks in Stuttgart könnte politisch motiviert gewesen sein.
Die Protestbewegung feiert ihre 200. Kundgebung vor dem Bahnhof. Die Stadtverwaltung will sie verdrängen. Grund: Sie störe den Verkehrsfluss.
In Baden-Württemberg dürfen die Bürger bei Großprojekten künftig von Beginn an mitreden. Der Haken: Einklagen können sie dieses Recht nicht.
Wegen Kostenexplosionen und fragwürdiger Leistungsfähigkeit des Bahnhofs starten die Kritiker von S21 zwei neue Bürgerbegehren.
In Stuttgart nimmt die Polizei eine Gewerkschafterin in Gewahrsam. Sie wollte gegen die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit demonstrieren.
Das Stuttgarter Amtsgericht verurteilt drei Polizisten, die bei den Protesten gegen S21 allzu gewalttätig gegen Demonstranten vorgingen. Gut so!
Bei der Großdemonstration gegen „Stuttgart 21“ schlug er Unbeteiligte mit einem Stock. Nun erhielt ein Polizist eine Haftstrafe – auf Bewährung.
Schlagstöcke und Wasserwerfer hätten das Ende der Stuttgart-21-Bewegung sein können. Doch ein Jahr später sind die Protestler noch da - und marschieren wieder.
Die Bahnhofs-Gegner rüsten zu neuen Protesten - erstmals unter der grün-roten Landesregierung. Neben einer Großdemonstration haben sie weitere Pläne.