taz.de -- Armin Petras am Staatstheater Stuttgart: Nebenbei geht die Welt unter
Gleich mit sechs Premieren startete Armin Petras in seine erste Spielzeit am Stuttgarter Staatstheater. Atemlos? Reflektiert!
Wenn ein Intendant zu Beginn einer neuen Spielzeit das Ziel formuliert, ein breiteres Publikum ansprechen zu wollen, macht das in der Regel so viel Eindruck, wie wenn Politiker Steuersenkungen versprechen. Nämlich gar keinen.
Umso größer ist die Überraschung, wenn das scheinbar Unmögliche dann doch in Ansätzen einzutreten scheint. Sechs Stücke feierten am Wochenende Premiere bei der Eröffnung der neuen Spielzeit des Stuttgarter Schauspiels unter der Intendanz von Armin Petras. Trotz der Unterschiedlichkeit der Inszenierungen bleibt der Eindruck, dass es ein zentrales Thema gibt, das auf unterschiedlichen Ebenen verhandelt wird.
„Kunst ist erst einmal nichts außer Reflexion über die Gesellschaft, über unser Leben, deren Abbild in konzentrierter Form“, schreibt Petras und dieser Aussage bleibt die Auswahl der Stücke treu. Sie bilden eine Reflexion über die unterschiedlichen Ängste und Konflikte unserer Gesellschaft mit dem Ergebnis, dass Angst, so unterschiedlich ihr Ursprung auch sein mag, letztendlich Angst bleibt.
Da wäre zum Beispiel die schminkeverschmierte junge Missy in Unterwäsche in der Uraufführung „5 morgen“, von Petras Autoren-Alter-Ego Fritz Kater geschrieben und von ihm selbst inszeniert. Verfeiert und verbittert rotzt das eben noch wasserstoffblonde Püppchen: „Ich werde nächstes Jahr fünfundzwanzig, ich bin eine Niete.“
Der perfekte Körper muss es ssein
Hübsche, normale Körper interessieren sie nicht, es muss der perfekte Körper unterhalb der 50-Kilo-Grenze sein. Das gilt erst recht, weil der Erfolg in der Abschlussprüfung des Studiums ausgeblieben ist und ein Virus das Fortleben der Menschheit bedroht.
„Dass ich nicht weiß, wer ich bin, wenn ich verheimliche, was ich dachte. Dass ich mein Leben lang versucht habe zu gefallen, dass ich dachte, was will der andere, was ich jetzt wollen soll?“ monologisiert mehr enttäuscht als wütend Marianne in „Szenen einer Ehe“ nach Ingmar Bergmans Film, inszeniert von Jan Bosse im Schauspielhaus, wiedereröffnet nach pannenreicher Umbauphase.
Marianne ist ehemalige Ehefrau, Mutter zweier Kinder und Anwältin. Hinter ihr erhebt sich eine verschachtelte, dreistöckige Einfamilienburg im Stil der Siebziger. Unverkleidete Kulissenrückwände wechseln sich mit heiter tapezierten Innenseiten des komplexen Baus ab. Ein Flokati, Kamin und die obligatorische Makramee-Eule malen die inszenierte Gemütlichkeit aus, aber auch die beengende Alltäglichkeit.
„Ist die Psychose Antwort auf die Frage der Bewusstwerdung?“ Das fragt eine der fünf Persönlichkeiten, in die die Rolle des Erzählers aufgespalten ist in der Inszenierung von Bernward Vespers Buch „Die Reise“, inszeniert von Martin Laberenz in der Nebenspielstätte Nord. Beantworten können die Stücke des Stuttgarter Beginns diese Frage natürlich nicht, aber dort ansetzen wo die Konflikte entstehen.
Das lebendige Spiel von Astrid Meyerfeldt und Joachim Król
Der tosende Applaus und die begeisterten Zwischenrufe des Publikums, durchschnittlich im Rentenalter, bei „Szenen einer Ehe“, ist wohl der beste Beweis, dass die Thematik direkt den Nerv der Zuschauer getroffen hat. Um kein falsches Bild zu vermitteln: Für die Begeisterung war das fortgeschrittene Alter nicht notwendig; auch wer den Titel „Szenen meiner Kindheit“ persönlich passender gefunden hätte, konnte sich dem lebendigen Spiel von Astrid Meyerfeldt und Joachim Król nicht entziehen.
Mit Tempo und einer unglaublichen emotionalem Wandlungsfähigkeit spielen sie sogar die endlich funktionierende neue Drehbühne an die Wand, die schließlich inklusive der darauf aufgebauten kleinbürgerlichen Festung im Boden versinkt.
In gewisser Weise schließt Armin Petras mit „5 morgen“ an „Szenen einer Ehe“ an. Denn was passiert, wenn der Zusammenbruch des privaten Raumes öffentlich wird, weil das Innen und Außen längst eins geworden sind? Fühlte man eben noch eine paradoxe Nostalgie beim Anblick des nun versunkenen bürgerlichen Wohnzimmers, drängt sich in „5 morgen“ die Ahnung auf, dass auch der Gegenwart eine ähnliche Zukunft bevorstehen könnte.
Natürliche Farben gibt es nicht, alles ist entweder grau oder künstlich im Bühnenbild. Überlebt haben in dieser Interpretation der Zukunft der Selbstdarstellungszwang und der Erfolgsdruck, gestorben ist die Hoffnung.
Die obligatorischen bunten Hipstersocken
Nicht nur die Projektionen medialen Bildsalates, die unkommentiert das Stück begleiten, sondern auch die Charaktere erinnern an den eigenen Alltag. So wie beispielsweise Jungakademiker August mit schlecht sitzender BWL-Seitenscheitelfrisur und den obligatorischen bunten Hipstersocken. Oder Paul, Schnauzerträger mit rausgewachsener Vokuhilafrise, Bauchansatz und zu kurzer Neunzigerjahre Printjogginghose.
Nebenbei geht die Welt unter, was im Grunde egal ist, denn Überlebenskampf ist sowieso alltäglich. Statt der Panik zu verfallen, spitzt sich die Atemlosigkeit und der Geltungszwang unter dem Funktionsdiktat der Leistungsgesellschaft einfach weiter zu. Bis alle gemeinsam im modern reduzierten Clownskostüm eine Art grotesk alltägliche Hochleistungschoreografie tanzen.
Wo man bei dieser Zukunftsvision das Gefühl hat, sehr nah dran zu sein am eigenen Umfeld und der vielleicht eigenen Krise, verschiebt sich die Wahrnehmung von scheinbar völlig vertrauter Umwelt im „Autostück. Belgrader Hund“ von Anne Habermehl, das Stefan Pucher tatsächlich für zwei Schauspieler und drei Zuschauer auf einer Autofahrt inszeniert hat. Auf der Rückbank sitzend folgt man dem Gespräch von Bogdan und Beifahrerin Liljana, während an den Autoscheiben vorbeizieht, was man schon tausendmal gesehen hat.
Auf befremdliche Weise ändert sich mit dem Dialog der Beiden auch das bekannte Bild der Stadt. Man erfährt von der serbischen Herkunft, von Perspektivlosigkeit und dem Zerrissen sein zwischen zwei Welten. Laut denkend erzählt die verlebte Blondine Liljana, gespielt von Marietta Meguid, von ihrem Wunsch dazuzugehören. Alltäglichkeiten transformieren sich, Mercedes wird vom starken Finanzpartner Stuttgarts zum Panzerexporteur. Liljana macht diese Welt krank aus der Gewissheit, dass ihre Vergangenheit nicht mit der Geschichte dieser Stadt übereinstimmt.
Zurück bleibt man als Teilnehmer an diesem Petras-Marathon am Ende selbst mit einer unzuverlässigen Wirklichkeit. Es sind viele Anstöße, die das Eröffnungswochenende gibt und wenn Armin Petras meint „Ich vermittle allerhöchstens zwischen Menschen und Texten und noch mal Menschen, da unten und da draußen“, dann ist ihm das auf vielseitige Weise gelungen. Denn vermitteln bedeutet, denjenigen zu kennen, dem man vermittelt. An diesem Punkt siegt Armin Petras mit Sensibilität für die Diversität von Gesellschaft und Theaterpublikum.
30 Oct 2013
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