taz.de -- Anti-Terrorkampf in Russland: Sippenhaft wie zu Zeiten Stalins
Auch Angehörige und Freunde mutmaßlicher „Terrorristen“ sollen bestraft werden können. Damit will der Kreml vor der Olympiade 2014 für Ruhe sorgen.
BERLIN taz | „Das ist ein Rückfall in die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als Stalin das Prinzip der kollektiven Verantwortung für begangene Straftaten zum Gesetz erhoben hatte. Erneut gibt sich Russlands Präsident Wladimir Putin als Unterstützer Stalins und des Stalinismus zu erkennen“, sagt Mairbek Watschagajew, der Leiter des in Paris ansässigen Zentrums für Kaukasus-Studien.
Grund für die ernüchternde Einschätzung ist ein neues Anti-Terror-Gesetz, das Präsident Putin am vergangenen Wochenende unterzeichnet hat. Der Vorschrift zufolge können Angehörige und Bekannte von Personen, die einen Terroranschlag begangen haben, zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt werden.
Zudem dürfen Behörden das Eigentum von Freunden sowie Verwandten mutmaßlicher Kämpfer beschlagnahmen. Die Teilnahme an einem Ausbildungslager mit dem Ziel, einen Terroranschlag zu begehen, kann mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden.
Die Verschärfung des Anti-Terrorgesetzes zum jetzigen Zeitpunkt ist kein Zufall. Im kommenden Februar finden in Sotschi die Olympischen Winterspiele statt. Die Stadt befindet sich nur wenige hundert Kilometer entfernt vom Nordkaukasus - einer Region, die regelmäßig von Terroranschlägen erschüttert wird.
Erst im vergangenen Oktober hatte sich eine Selbstmordattentäterin aus der Kaukasusrepublik Dagestan in einem Bus in der russischen Stadt Wolgograd in einem Bus in die Luft gesprengt. Dabei waren sieben Menschen getötet und Dutzende verletzt worden.
Blaupause Tschetschenien
Der tschetschenische Guerillakämpfer und selbst ernannte Führer des 2007 ausgerufenen „Kaukasischen Emirats“, Doku Umarow, hatte wiederholt damit gedroht, den Terror auch nach Russland zu tragen. Im vergangenen Juli rief er dazu auf, alles dafür zu tun, um die Winterspiele in Sotschi 2014 zu verhindern.
Ein Gesetz, das vermeintlichen „Terroristen“ nahestehende Personen in Sippenhaft nimmt, wird bereits in der Kaukasusrepublik Tschetschenien angewandt. Hier ist die Anzahl von Anschlägen zurückgegangen.
Doch daraus sollten keine voreiligen Schlüsse gezogen werden, wie Andrej Soldatow, Gründer des investigativen Internetportals agentura.ru meint. In Tschetschenien könne eine derartige Taktik mittelfristig erfolgreich sein, weil der dortige Präsident Ramsan Kadyrow und sein Apparat die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzten.
In Dagestan sei die Situation jedoch komplett anders. Hier hätten die Sicherheitskräfte ihren Kredit bei der Bevölkerung längst verspielt. Eine härte Gangart werde nur noch mehr Unmut schüren.
6 Nov 2013
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Vor den Winterspielen in Sotschi plant Russland, die Online-Überwachung zu verschärfen. Ausländische Journalisten sollten mit Daten vorsichtig umgehen.
Das Straßenbild Wolgograds wird derzeit von Polizisten beherrscht, Neujahrsveranstaltungen wurden gestrichen. Die USA bieten Russland Sicherheitshilfe für Sotchi an.
Nach den Terroranschlägen in Wolgograd versucht der Kreml Sicherheit vorzutäuschen. Dazu fehlt aber das Personal. Es drohen Pogrome.
Von einem Frieden ist der Nordkaukasus weit entfernt. Die jüngsten Anschläge fordern Regionalherrscher, aber auch das gesamtrussische System heraus.
Erst das Attentat im Bahnhof, nun ein Bombenanschlag auf einen Bus. 14 Menschen kamen am Montagmorgen im russischen Wolgograd ums Leben.
Es soll sich um ein Selbstmordattentat handeln: Bei einem Anschlag im russischen Wolgograd sterben mindestens 13 Menschen, viele weitere werden verletzt.
Pjotr Wersilow hat seit zwei Wochen keinen Kontakt zu Nadeschda Tolokonnikowa - offenbar eine Strafmaßnahme. Über ihren derzeitigen Aufenthaltsort herrscht Unklarheit.
„Nicht ein Rubel bleibt hier oben hängen“, sagt Wladimir Sujew. Der Ferne Osten Russlands bleibt sich selbst überlassen. Eine Reise mit der Eisenbahn.
Der Kremlkritiker und sein Bruder Oleg sollen sich durch Veruntreuung und Geldwäsche über eine Million Euro illegal angeeignet haben.