taz.de -- Debatte Prostitution: Der Freier, das unbekannte Wesen

Gesucht wird Sex in jeder Spielart, ohne Vorlaufzeit, jederzeit verfügbar: Ist Prostitution eine normale Dienstleistung? Was sagen die Kunden?
Bild: Und die Freier bleiben unsichtbar.

Warum kaufen Männer Sex? Warum machen das fast nur Männer, aber längst nicht alle? Wer hat die Macht und soll es Prostitution eigentlich immer geben? Basierend auf einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Freiern und einer 2012 veröffentlichten Studie mit qualitativen Interviews sollen hier einige Antworten auf diese Fragen gegeben werden.

Bei heterosexuellen Freiern lassen sich fünf generelle Motivmuster aufzeigen: Sex, Nähe/Kommunikation, Dominanz- und Gewaltausübung, die psychologische Konfliktbewältigung und der Rausch, den die Prostitution als Subkultur verspricht. Das verbreitetste Motiv ist der schlichte Wunsch nach Sexualität und Körperlichkeit.

Gesucht wird Sex in jeder erdenklichen Spielart, ohne Vorlaufzeit, jederzeit verfügbar, befreit von Beziehungserwartungen und gesellschaftlichen Moralvorstellungen, mit privat potenziell „unerreichbaren“ Frauen und nahezu 100prozentiger Erfolgsgarantie, denn Zurückweisungen sind selten im Feld der Prostitution.

Wir haben es also mit einer ekstatisch-entgrenzten Schlaraffenlandfantasie zu tun, die in Erfüllung gehen kann, wenn genug Zeit („in der Mittagspause oder besser nach Feierabend auf dem Weg nach Hause“) und Geld mobilisiert werden können. Oralsex auf dem Straßenstrich ist ab 20 Euro zu haben, im Dominastudio kostet die Stunde gern ab 200 Euro aufwärts. Daneben geht es auch um menschliche Nähe, Berührungen, Zärtlichkeiten, um mit der Einsamkeit oder einer unerfüllten Partnerschafts-Sehnsucht klarzukommen.

Leidbesetzte Lebensumstände

Ebenso wünschen sich Freier ein offenes Ohr von Sexarbeiterinnen, um ihnen ihre Sorgen mitteilen zu können. Viele dieser Freier gestalten ihren Kontakt mit Sexarbeiterinnen respektvoll, freundlich, wertschätzend und lehnen jede Form von Zwang und Gewalt ab. In der Sexarbeit sehen sie eine normale Dienstleistung und handeln ihrem Verständnis nach moralisch und juristisch korrekt.

Komplementär dazu existieren erschreckend destruktive Motivmuster, in denen Freier, insbesondere an den prekären, ungeschützten Rändern – etwa dem Drogenstrich – frauenverachtende und gewalttätige Neigungen ungehemmt und häufig konsequenzlos ausagieren. Angefangen bei despektierlichem oder demütigendem Verhalten, über Lohnraub bis hin zu ungewollten Sexualpraktiken, manifester physischer Gewalt und Vergewaltigung. Einige Männer agieren in der Prostitution ihre psychischen Probleme aus: Sie versuchen auf diesem Weg, mit Depressionen klarzukommen oder Minderwertigkeitsgefühle zu bearbeiten.

Ebenso ist festzustellen, dass viele Motive eine Prostituierte aufzusuchen, sich aus leidbesetzten Lebensumständen speisen. Weil man noch nie Sex oder eine Freundin gehabt hat und denkt, deshalb kein vollwertiger Mann zu sein. Weil man einsam ist, weil eine Beziehung kaputt ging, weil man in der Partnerschaft sexuell unerfüllt bleibt und nicht weiß, wie das in der Beziehung angesprochen werden kann. Weil man sich im monogamen Korsett sexuelle Abwechslung wünscht oder auf der Jagd nach sexuellem Kapital – wie viel, wie oft, wie abgefahren – bei Konkurrenzkämpfen unter Männern nicht mehr den Kürzeren ziehen will.

Reiz des Verbotenen

Ebenso kaufen Freier Sex, weil sie damit eine (anti-)bürgerliche Suberversionsfantasie verbinden. Hier geht es um die lustvolle, hedonistisch-narzisstische Inszenierung, um Neugierde, den Reiz des Verbotenen und die begrenzte Regelverletzung im Kontakt mit dem „gefährlichen“, kriminellen Milieu.

Soweit zur empirisch nachweisbaren Motivlage. Wer aber sind nun die Männer, die käuflichen Sex nachfragen und in der Bundesrepublik auf eine gut ausgebaute Infrastruktur zurückgreifen können?

Trotz des unbefriedigenden Forschungsstands zur „Prostitutionsnachfrage“, gilt es als gesichert, dass sich die Gruppe der Freier aus Männern jeder Altersklasse, Berufs- und Einkommensgruppe zusammensetzt. Mal sind sie verheiratet, mal ledig und auch die Bildungsabschlüsse sind unterschiedlich. Sie unterscheidet sich hinsichtlich sozialer, körperlicher, psychischer und gewaltbezogener Parameter kaum von der männlichen Durchschnittsbevölkerung. Es greift damit die „Jedermann-Hypothese“. Dauerhaft nachgefragt wird Prostitution übrigens nur von einer kleinen Gruppe, etwa 18 Prozent (Die Zahl stammt aus der Studie Kleiber/Velten von 1994 (!). Eine aktuellere gibt es nicht).

Die Gründe für die relativ geringe Prozentzahl sind in vielfältigen Delegitimierungs-Diskursen zu finden: Teile der feministischen Kritik brandmarken Freier pauschal als sexuelle Gewalttäter; gebundene Männer riskieren ihre Partnerschaft, wenn „es“ herauskommt. Auch unter Männern wird gekaufter Sex geringgeschätzt und mit einem Verlierer-Image verknüpft: „Der hat es nötig.“

Zudem leben wir in einer Gesellschaft, die Aushandlungsprozesse hochschätzt. Entsprechend gelten Sexualbeziehungen, die nicht durch emotionale Authentizität, konsensuale Entscheidungsfindungen und begehrliche Gegenseitigkeit bestimmt sind, als weniger interessant. Das ist vermutlich ein Hauptgrund für beide Geschlechter, Prostitution nicht nachzufragen.

Epochenübergreifendes Privilegiensystem

Gleichzeitig zählt das Prostitutionserlebnis als ein legitimes, standardbiografisches Element der männlichen Lebenswelt („Hörner abstoßen“, Reeperbahn-Ausflüge oder Geschäftsabschluss-Feiern im Bordell). Daneben kann ein zentral beruhigender Gedanke mobilisiert werden, den wir alle von klein auf als kapitalistische Selbstverständlichkeit in uns aufgesogen haben: „Wofür bezahlt wird, das ist in Ordnung.“ Vermutlich fundieren die meisten Freier ihre Nachfrage-Praxis auf dieser moralischen Annahme.

Zugleich handelt es sich natürlich um eine Entlastungsstrategie. Sie erlaubt, die Geschichte und aktuelle Lebens- und Arbeitssituation der Sexarbeiterin zum Verschwinden zu bringen – nicht unähnlich der alltäglichen Verdrängung der Ausbeutungsverhältnisse, die in den Produktionsbedingungen anderer Produkte wie Kleidung oder Smartphones normal sind.

Und nun? Schwer zu sagen. Einerseits ist die Prostitution in ihrer geschlechtsspezifischen und geschlechtshierarchischen Struktur als epochenübergreifendes, männliches Privilegiensystem zu verstehen, welches Männern einen garantierten Zugriff auf die weibliche Sexualität sichert. Die Sexarbeiterin tritt gegen Bezahlung, temporär ihr grundlegendes sexuelles Selbstbestimmungsrecht an den Freier ab und gewährt ihm innerhalb klar bestimmter Grenzen das aktive Verfügungsrecht über ihren Körper.

Arbeitsbedingungen der Sexarbeiterinnen

Das ist als strukturelles Herrschaftsverhältnis zu charakterisieren, und von einem grundsätzlichen Standpunkt aus muss es Ziel emanzipatorischer Politik sein, die Sexualität von diesem Diktat kapitalistischer Tausch-, Ausbeutungs- und Entfremdungslogik zu befreien. Zwangsprostitutive Verhältnisse sind ohnehin immer zu bekämpfen. Kein Mensch sollte in erniedrigender und traumatisierender Abhängigkeit leben. Dabei ist jedoch im Blick zu behalten, dass der Begriff „Zwangsprostitution“ unscharf ist und aktuell einen empirisch kaum präzisierbaren Ausschnitt der sozialen Realität beschreibt.

Gleichzeitig ist die Prostitution und die Prostitutionsnachfrage schlicht Realität und die Mikrophysik der Macht im Feld lässt sich nicht in ein klares Täter-Opfer-Schema auflösen. Stattdessen differenziert sie sich situations- und interaktionsspezifisch aus. Je nachdem, ob die Freier Sex, Nähe oder Dominanz suchen, wie sie Sexarbeiterinnen betrachten und behandeln, ob respektvoll, bewundernd, neutral, verachtend oder hassend und welche Machtressourcen die Frauen den Freiern entgegensetzen können – ist die Situation eine andere.

Das Verhältnis Sexarbeiterin-Freier hängt zentral von den Arbeitsbedingungen ab: Also ob die Frauen Art und Umfang ihrer Arbeit selbst bestimmen können, ob sie vor Gewalt geschützt werden, genauso wie vor staatlicher Verfolgung und ordnungspolitischer Gängelung, ob sie einen sicheren Aufenthaltsstatus besitzen, ob sie Freiern selbstbewusst entgegentreten und sie auch ablehnen können.

Die Maßgabe kann daher nur lauten, die Rechte von Sexarbeiterinnen zu stärken und für eine konkrete Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen einzutreten. Grundsätzlich gilt es, die kapitalistisch-patriarchale Ausbeutungslogik zu überwinden – und damit auch die Prostitution. Der Weg dorthin kann aber nicht über das Strafrecht oder eine Prostitutionsverbotspolitik geebnet werden, sondern nur über eine grundlegende Diskussion über die gesellschaftliche Organisation von Sexualität.

3 Dec 2013

AUTOREN

Gerheim

TAGS

Prostitution
Freier
Sex
Prostitution
Hamburg
Prostitution
Kinder der sexuellen Revolution
Prostitution
Sexarbeit
Schwarz-rote Koalition
Schwerpunkt Frankreich
Prostitution
Prostitutionsgesetz
Prostitution

ARTIKEL ZUM THEMA

SWR-Dokumentation über Prostitution: „Ficken ohne“ für 20 Euro

Rachentripper und geplatzte Kondome: „Versklavte Frauen“ im SWR zeigt das Leben von Prostituierten – und einen Beruf mit Risiko.

Ehrenamt auf dem Strich: Auf einen heißen Tee mit Gummi

Tagsüber arbeitet Saskia Wiemer als Anwältin in einer großen Hamburger Kanzlei. Nachts geht sie auf den Strich – um mit Prostituierten zu reden.

Podiumsrunde zur Prostitutionsdebatte: Alle gegen Schwarzer

Prostitution verbieten? Nicht, wenn es nach Bordell-Betreiberin Felicitas Schirow geht. Sie lud am Montag in Berlin zu einer „Experten-Anhörung“.

Kinder der sexuellen Revolution: Das Ende aller Normen

Der Weg vom Kuppeleiparagrafen der grauen fünfziger Jahre zur emotionalen Sexualbeziehung war lang. Und er hat sich gelohnt.

Polizist über Bestrafung von Freiern: „Prostitution sollte reguliert werden“

Zuhälterei und Menschenhandel sind schwer zu erkennen. Ist es sinnvoll die Freier zu bestrafen? Das bringt nichts, meint ein Polizist.

Kommentar Prostitutionsgesetz: Kommt jetzt die Sex-Stasi?

Die Freier sollen in die Verantwortung genommen werden. Die Ideen von Union und SPD zur Verschärfung des Prostitutionsgesetzes sind absurd.

Strafe für Zwangsprostituierten-Freier: „Grüß Gott, machen Sie das freiwillig?“

Die Große Koalition will Freier bestrafen, die bei Zwangsprostituierten waren. Doch wie sollen die Männer eine Zwangslage erkennen?

Neues Prostitutionsgesetz in Frankreich: Kunden müssen künftig büßen

Am Samstag hat das umstrittene Prostitutionsgesetz die parlamentarische Hürde genommen: Künftig müssen Freier mit einer Strafe von bis zu 3.570 Euro rechnen.

Debatte um Prostitution: Der unsichtbare Freier

In der Prostitutionsdebatte werden alle Bereiche durchleuchtet: Huren, Bordelle, Gesetze. Nur die Männer nicht, die für Sex zahlen.

Sozialarbeiterin über Prostitution: „Wir brauchen kein neues Gesetz“

Juanita Henning von der Beratungsstelle Doña Carmen kritisiert das neue Gesetzesvorhaben zur Prostitution. Menschenhandel hält sie für einen Kampfbegriff.

Sexarbeit in Saarbrücken: Gefährlicher Grenzverkehr

Prostitution soll verboten werden – das will auch die Bürgermeisterin von Saarbrücken. In ihrer Stadt boomt der Sextourismus.