taz.de -- Buch über Ultras: Organisierter Ungehorsam
Was treibt die Ultraszene um? Christoph Ruf liefert in seinem Buch einen Einblick in das Innenleben der Ultras – zum Teil jedoch etwas oberlehrerhaft.
Seit ein paar Jahren schon verfolgt Christoph Ruf bei Fußballspielen nicht nur das Geschehen auf dem Rasen. Er interessiert sich vor allem auch dafür, was in den Fankurven passiert. Regelmäßig kommentiert er das Geschehen dort – unter anderem für die taz. Seine Beobachtungen sind in ein Buch eingeflossen, in welchem dem Phänomen der „Ultras“ auf den Grund gegangen werden soll.
Über mehrere Monate hinweg hat Ruf recherchiert, Presseartikel zusammengetragen und mit Ultras verschiedener Gruppen Interviews geführt. Er will wissen, was die Ultraszene umtreibt, stellt einzelne Gruppierungen und deren Philosophie knapp vor. Darin liegt eine der Stärken des Buchs. Leser auch ohne Hintergrundwissen erhalten Einblicke in das Innenleben von Ultra-Gruppen und können sich so einen ersten Eindruck davon machen, was Ultra bedeuten kann.
So kommt in einem Gastbeitrag eine Ultra-Frau zu Wort, die schildert, wie sie ihr Dasein in der männerdominierten Ultra-Welt empfindet. Sachlich und offen – ohne das große Geschrei, das beim Thema Ultra so oft zu hören ist.
Geht es um die allgemeine Haltung von Ultras zu Pyrotechnik, Gewalt und Polizei, wird Rufs ablehnende Haltung gegenüber gewisse szenetypischen Ausdrucksformen allzu deutlich erkennbar. Einem Oberlehrer gleich schaut Ruf auf Dinge herab, die er für „asozial“ und „ungebildet“ hält und verurteilt sie dementsprechend. Dabei gibt er vor, es gut zu meinen, und wird beinahe zum Sprachrohr einer aus seiner Sicht aufgeklärten, reflektierten Ultraszene.
Dabei liegt es im Kern jeder Subkultur, sich Freiräume zu erkämpfen und diese zu verteidigen. Zu den Eigenheiten der Ultras gehört dabei, dass sie dafür Grenzen übertreten. Gewalt und ihre offene Ausübung sind jedoch in weiten Teilen der bürgerlichen Gesellschaft eines der letzten großen Tabus. Ruf will dieses Tabu nicht gebrochen sehen.
„Für die sind wir Nervensägen“
Dabei könnte man es auch anders sehen. Vor allem größere Ultra-Gruppen haben gerade durch ihren Anspruch auf Freiraum und den Ungehorsam gegenüber bestehenden Institutionen ein Stück weit zur Demokratisierung des Fußballs beigetragen. Ein Vertreter des „Commando Cannstatt“ antwortet auf die Frage, warum der VfB Stuttgart eigentlich überhaupt Gespräche mit den aufmüpfigen Fans führe: „Für die sind wir Nervensägen und bedeuten einfach Stress!“ Gerade weil sich Ultras häufig nicht mit vorgegebenen Zuständen arrangieren und ein immenses Konfliktpotenzial in viele Auseinandersetzungen bringen, schenken ihnen Verbände und Behörden Gehör. Das wäre vielleicht anders, wenn sie sich damit zufriedengeben würden, Petitionen einzureichen oder Mahnwachen abzuhalten.
Ruf bleibt überdies einen Nachweis schuldig, wie er zu dem Schluss kommt, dass Gewaltaffinität unter Polizisten nur ein Phänomen „schwarzer Schafe“ sei und keine strukturellen Ursachen habe. Der Umstand, dass man die Auffassungen und Wirklichkeiten einer Subkultur nicht akzeptieren will, ist auch bei ihm nicht mehr als der Ausdruck eines bürgerlichen, der Ordnungspolitik verpflichteten Gesellschaftsverständnisses.
„Kurvenrebellen“ ist nicht das erste Buch über Ultras. Und es wird auch nicht das letzte über sie sein. Viel zu verankert sind sie mittlerweile im Fußball. Viel zu präsent sind auch die beiden Stereotype, in denen sie einerseits als üble Krawallmacher gelten, andererseits als Inbegriff der Stimmungsfolklore in den Stadien. „Kurvenrebellen“ muss sich daher messen – unter anderem an „Ultras im Abseits“, dem 2012 erschienenen, facettenreichen Sammelband von Martin Thein und Jannis Linkelmann. Dem Vergleich hält „Kurvenrebellen“ nicht stand: zu viel Meinung, zu wenig Analyse. Es bleibt letztlich nur bei Einblicken.
18 Jan 2014
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