taz.de -- Sonntaz-Streit über Sexismus: Rosa Fahrräder

Sollte sexistische Werbung verboten werden? Diese Frage beschäftigt nicht nur BürgerInnen im Berliner Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg.
Bild: Wo fängt Sexismus an?

Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg fordern Die Grünen gemeinsam mit der SPD, der Linkspartei und den Piraten vom Bezirksamt, sexistische, diskriminierende und frauenfeindliche Werbung auf den vier bezirkseigenen Werbeflächen zu verbieten. In Münster, Ulm, Bremen und Marburg werden ähnliche Verbote diskutiert und sind zum Teil bereits umgesetzt. Daher hat die sonntaz im Streit der Woche gefragt, ob sexistische Werbung verboten werden sollte.

„Der Deutsche Werberat als Gremium der Selbstkontrolle ist so wirksam wie die freiwillige Frauenförderung in der Privatwirtschaft“, schreibt Maria Wersig, Mitglied im Bundesvorstand des Deutschen Juristinnenbundes, in der taz.am wochenende vom 8./9. Februar. „Insbesondere da Rügen nur in extremen Fällen erteilt werden – und das auch erst, wenn die Kampagne längst vorbei ist“, bemerkt Pascal Striebel, Grünen-Politiker und Mitglied im Queer-Ausschuss in Friedrichshain-Kreuzberg.

Welche Art von Werbung sie zukünftig nicht mehr tolerieren wollen, haben die Berliner Antragsteller bereits festgelegt. Sie orientieren sich an den Kriterien, die der österreichische Werberat aufgestellt hat. Diese sind weitaus detaillierter als die des deutschen Werberats. Es heißt dort beispielsweise:„Geschlechterdiskriminierende Werbung liegt vor, wenn die Person in rein sexualisierter Funktion als Blickfang dargestellt wird.“ Ein Werbeplakat, auf dem ein weiblicher Körper abgedruckt ist, der in keinem direkten Zusammenhang zum beworbenen Produkt steht, wird demnach eindeutig als sexistisch definiert.

Doch diese Ansicht teilt nicht jeder. An Münchens Litfaßsäulen ist momentan ein nackter weiblicher Körper zu sehen, auf dessen Brüsten eine Männerhand ruht. Der Beschwerde, die beim Deutschen Werberat einging, folgte keine Rüge – wie in 96 Prozent aller Fälle. Das Plakat stehe für Wohlbefinden, welches der Radiosender, seinen Hörern vermitteln wolle, verteidigt sich Roland Schindzielorz, Geschäftsführer von Radio Arabella im sonntaz-Streit. „Sexismus sollte nicht in Verbindung mit einer ästhetisch gestalteten Werbung gebracht werden.“

Wo verläuft die Grenze?

Dass Sexismus in der Werbung nichts zu suchen hat, darin ist sich Radio Arabella mit Vertreterinnen der Frauenrechtsorganisationen Terre des Femmes, Femen sowie Pinkstinks einig. „Wenn überhaupt Werbung, dann bitte ohne Sexismus!“, fordert zum Beispiel Hellen Langhorst von Femen Deutschland. Die Crux liegt an anderer Stelle: Wo verläuft die Grenze zwischen Diskriminierung und Ästhetik beziehungsweise Unterhaltung? Wo beginnt Sexismus?

„Allein die Nacktheit eines Models, die Verwendung von Klischees oder vorgeblich überholter Rollenbilder – Hausfrau mit Staubsauger oder Mann mit Bier vor Sportsendung – verletzen keine gesellschaftlichen Werte“, betont Manfred Parteina, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft. Eine Untersagung solcher Motive per se stünde außerhalb der gesellschaftlichen Realität und käme einer Zensur gleich.

Dagegen bewertet Stevie Meriel Schmiedel, Genderforscherin und Vorstandsvorsitzende von Pinkstinks, das Bewerben eines rosa Fahrrads mit 3 Gängen neben einem blauen mit 24 Gängen eindeutig als sexistisch. „Stereotype Rollenbilder auf dem Schulweg schaden und behindern das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung von Kindern.“ „Das gleiche Recht auf Selbstbestimmung muss man auch Unterwäschemodels oder dem Fotomodell Micaela Schäfer zugestehen“, hält Walter Hasenclever, Pressesprecher der Erotikmesse Venus, dagegen.

Von den taz-Lesern wurde die sonntaz-Frage auf Facebook und taz.de in ihrer ganzen Bandbreite diskutiert. Eine These lautete: Kein Verbot vermag es, die Stereotype in den Köpfen zu bannen.

Was Micaela Schäfer selbst in der Diskussion sagt, lesen Sie in der in der [1][taz.am wochenende vom 8./9. Februar]. Die Streitfrage beantworteten außerdem Doreen Schink, Leiterin Unternehmenskommunikation der Beate Uhse AG, Florian Boitin, Chefredakteur des „Playboy“, und der taz-Leser Lukas Zeidler.

8 Feb 2014

LINKS

[1] /Ausgabe-vom-8/9-Februar-2014/!132408/

AUTOREN

Siebert

TAGS

Streitfrage
Sexismusdebatte
Sex
Werbung
Pinkstinks
Feminismus
Frauen
Werbung
Sexismus
Sexismus
#Aufschrei

ARTIKEL ZUM THEMA

Besuch auf der Berliner Erotikmesse: Im Pornowummerland

Schokoladenpenisse, Sexgöttinnen a.D. und rollstuhlgerechter Männerstrip: Ein Besuch auf der selbsternannten Erotikmesse „Venus“ in Berlin.

Diskriminierende Werbung: Zu viel nackte Haut gehört verboten

In Großbritannien wie auch in Frankfurt wird frauenfeindliche Werbung verboten. Nötig wären aber strengere Gesetze.

Diskriminierende Werbung: „Pinkstinks“ gegen Sexismus

NGOs wollen per Gesetz geschlechterdiskriminierende Werbung verbieten lassen. Aber Wirtschaft und Parteien signalisieren Ablehnung.

Teufelsmösen und Feminismus: Meine Pussy ist die Macht

In Brasilien nähte sich eine junge Aktivistin öffentlich die Schamlippen zu – aus Protest gegen Ausbeutung und Unterdrückung.

Diskriminierung von Frauen: Weibliche Lohntüte ohne Rundungen

Frauen werden immer noch bei der Höhe ihres Gehaltes benachteiligt. Sie verdienen in fast allen Branchen im Schnitt 20 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.

Verbot sexistischer Werbung in Berlin: Models müssen sich warm anziehen

Der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg duldet nicht mehr viel nackte Haut auf seinen Werbeflächen. Werbung für Prostitution bleibt erlaubt.

Debatte über sexistische Werbung: Buhrufe und Erziehungsversuche

Das Kreuzberger Bezirksparlament diskutiert über ein Verbot von sexistischer Werbung. Eingeladen ist dazu eine Pinkstinks-Aktivistin und die Chefin des Werberats.

Sexuelle Gewalt gegen Frauen: Die Wirklichkeit mal andersrum

Laut einer neuen Studie hat jede 14. Frau sexuelle Gewalt erfahren. Ein Video widmet sich dem Thema Sexismus, indem es die Rollen umkehrt.

sonntaz-Streit: Sexistische Werbung verbieten?

Keine Brüste, keine Waschbrettbäuche: In Berlin fordern Politiker ein Verbot sexistischer Werbung. Aber löst das überhaupt das Problem?

Debatte Sexismus: Ein #Aufschrei der Vielen

Eine Frau, die glaubt, ein unglücklicher Einzelfall zu sein, wird keine Revolte starten. Vor einem Jahr hat #aufschrei gezeigt, wie Kollektive entstehen können.