taz.de -- Kinderrechte: Yagmur: SPD will Konsequenzen

SPD schließt sich CDU-Antrag zur Überprüfung geplanter Rückführungen von Kindern an und will Kinderrechte im Grundgesetz verankern.
Bild: Sollen nicht zu ihren Eltern zurück, wenn es den Verdacht auf Gewalt gibt: Kinder.

Hamburgs Sozialdemokraten ziehen erste Konsequenzen aus dem Tod der dreijährigen Yagmur – indem sie über ihren eigenen Schatten springen und der Opposition zustimmen. Die SPD-Bürgerschaftsfraktion kündigte an, am heutigen Mittwoch einem Antrag der CDU zuzustimmen, nach dem alle Fälle, in denen die „Rückführung von außerhalb der Herkunftsfamilie untergebrachten Kindern“ geplant ist, erneut überprüft werden. Sie sollen gestoppt werden, wenn es auch nur den leisesten Verdacht auf elterliche Gewalt gegen das Kind in der Vergangenheit gibt.

Zufrieden damit zeigt sich der familienpolitische Sprecher der CDU, Christoph de Vries, findet aber dennoch einen Grund zum kritteln: „Es ist schon kurios, dass die SPD unseren Antrag braucht, um solche Selbstverständlichkeiten umzusetzen und aus der Schockstarre zu erwachen.“

Die bei Pflegeeltern lebende Yagmur war vergangenen August zurück zu ihren leiblichen Eltern gebracht worden, obwohl die Staatsanwaltschaft noch ermittelte, ob diese ihr bei einem früheren Besuch eine Schädelverletzung zugefügt hatten. Als das Mädchen am 18. Dezember infolge eines auf Tritte oder Schläge hindeutenden Leberrisses verblutete, war ihr Körper mit Blutergüssen übersäht und wies mehrere Rippenbrüche und Armfrakturen auf. Yagmur muss über Wochen misshandelt worden sein.

Die Staatsanwaltschaft wirft Yagmurs Vater Totschlag und der Mutter Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen vor. Laut Staatsanwaltschaft soll sie sogar versucht haben, die Hämatome am Körper des Mädchens mit Schminke zu überdecken.

Neben der Rückführungskontrolle beantragt die SPD auch der Einsicht in die Fallakten für alle Abgeordneten. Zudem will sie eine Bundesrats-Initiative starten, um Kinderrechte zukünftig im Grundgesetz zu verankern.

Für Melanie Leonhard, die familienpolitische Sprecherin der SPD, wäre das mehr als nur ein Signal: Nur mit einer Grundgesetzerweiterung sei „der Schutz des Kindeswohls – im Konfliktfall gegen das grundgesetzlich geschützte elterliche Erziehungsrecht – durchsetzbar“. Der Fall Yagmur mache „deutlich, dass leibliche Eltern nicht zwingend das Beste für ein Kind sein müssen“. De Vries allerdings wittert eine „Scheindebatte“. „Wo trotz massiver Hinweise auf Kindeswohlgefährdung nur weggeschaut wird, helfen auch keine Kinderrechte im Grundgesetz“, sagt der Politiker.

CDU, Grüne und FDP werden zudem am heutigen Mittwoch einen „Antrag auf die Einrichtung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) Yagmur“ in die Bürgerschaft einreichen, den sie als Minderheitsrecht auch selbst beschließen können. Dieser biete die Chance, „alle Personen zu befragen, die konkret am Fallgeschehen beteiligt“ waren und „aus Fehlern zu lernen“, begründet die Grünen-Abgeordnete Christiane Blömeke die PUA-Einsetzung.

Für die Grünen ist vor allem die Arbeitssituation in den Jugendämtern an den Pannen, die schon mehreren Kindern das Leben kosteten, schuld: Sie fordern 65 zusätzliche Stellen für den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) in den Ämtern. Die Linke macht sich dagegen für eine Enquetekommission stark, die das Jugendhilfesystem ganz generell inspizieren soll.

11 Feb 2014

AUTOREN

Marco Carini

TAGS

Yagmur
Hamburg
Eimsbüttel
Jugendamt
Kinderrechte
Kindeswohlgefährdung
Yagmur
Yagmur
Jugendamt
Die Linke
Yagmur
Yagmur
Yagmur

ARTIKEL ZUM THEMA

Kindesmisshandlung in Hamburg-Altona: Baby liegt im Sterben

In Hamburg schwebt ein Kleinkind in Lebensgefahr, auf das die Behörden schon aufmerksam geworden waren. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Ausstattung der Jugendämter: Senator hält Versprechen nicht

Ursprünglich für 2013 angekündigtes Personalbemessungssystem kommt nun erst 2015. Opposition wirft Senator Scheele Verschleppung vor. Behördensprecher sagt, man brauche nun mal Zeit

Tod der dreijährigen Yagmur: Eltern schweigen vor Gericht

Sechs Monate nach dem Tod von Yagmur hat der Prozess gegen ihre Eltern begonnen. Der Mutter wird Mord, dem Vater Körperverletzung vorgeworfen.

Konsequenzen aus dem Fall Yagmur: Kita-Pflicht für gefährdete Kinder

Senat kündigt Maßnahmen für den Kinderschutz an. Die Jugendämter erhalten 26 Stellen, um ihre Leitungen zu stärken. Herbe Kritik kommt von der Basis.

Jugendhilfe vor dem Kollaps: Zu wenig Zeit für die Kinder

Beim ASD ist nach dem Tod von Yagmur die Fluktuation groß und der Krankenstand hoch. Die Linke macht die Dokumentationswut dafür verantwortlich.

Fall Yagmur: Wie können wir die Kinder schützen?

Hamburg streitet über den Tod des kleinen Mädchens, das im Elternhaus totgeprügelt wurde. Helfen schärfere Kontrollen, mehr Personal bei den Jugendämtern, stärkere Kinderrechte?

Fall Yagmur: Anwalt der Hetze ausgesetzt

„Die Eltern wollten ihr Kind zurück. Das ist legitim“: Rechtsanwalt von Bracken erklärt, warum er die Eltern des toten Mädchens vertrat – bleibt aber selbstkritisch.

SPD denkt über Enquetekommission zur Jugendhilfe nach: Der Fall Yagmur und die Folgen

Eimsbüttels SPD-Bezirkschef kündigt „Aufklärung ohne falsche Rücksichtnahme“ an. Seine Jugendamtsmitarbeiter sehen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt.

Bericht zum Fall Yagmur: Eine Kette von Fehlern

Im Geflecht der Zuständigen ist das Bewusstsein für die Gefährdung des getöteten Mädchens abhanden gekommen, stellt die Jugendhilfeinspektion fest.

Wenig Personal: Hamburgs Jugendämter hoch belastet

90 zu bearbeitende Fälle gab es im Jahr 2013 pro Sachbearbeiter. Viele von ihnen sind Berufsanfänger. Ein Professor fordert die Obergrenze von 28 Fällen

Fall Yagmur: Verantwortung für totes Mädchen unklar

Fünf Tage nach dem Tod einer Dreijährigen herrscht Unklarheit über mögliche Versäumnisse und sogar die Zuständigkeit der Hamburger Behörden. Streit zwischen Jugendamt und Staatsanwaltschaft.

Kindesmisshandlung: Wieder ein totes Kind

Die dreijährige Yagmur starb in der elterlichen Wohnung. Ein Hamburger Jugendamt gab das Kind trotz des Verdachts der Misshandlung zu den Eltern zurück.