taz.de -- Polnische Reaktionen auf die Krim-Krise: Angst vor russischer Aggression
In Polen wird der Konflikt um das Nachbarland Ukraine mit Sorge aufgenommen. Erinnerungen an die mehrfache Teilung des Landes kommen hoch.
WARSCHAU taz | „Schande Russlands“, „Putin droht mit Krieg“ und „Wird Polen das nächste Opfer sein?“ lauten die Schlagzeilen der wichtigsten Tageszeitungen in Polen. Der polnische Nachrichtensender TVN24 berichtet nonstop nur noch über die Ereignisse im Nachbarland Ukraine.
Die „Bruderhilfe“ Russlands für die angeblich bedrohten Landsleute auf der ukrainischen Halbinsel Krim weckt in Polen tiefsitzende Ängste. Denn im Zweien Weltkrieg verlor Polen ein Drittel seines Territoriums an die Sowjetunion. 1945 entschieden die Alliierten über den Kopf Polens hinweg, dass Stalin seine Kriegsbeute aus dem Hitler-Stalin-Pakt behalten durfte und Polen zur Entschädigung „westverschoben“ wurde.
Da ist die Angst gegenüber Russland und Deutschland, den damaligen Angreifern, und Groll gegenüber den Westalliierten, die 1945 einfach nur zusahen, wie Polen gegen seinen Willen hinter dem Eisernen Vorhang verschwand, wecken heute tiefe Anteilnahme am Schicksal der Ukrainer. Nicht nur die sonst üblichen Streitereien zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien sind vergessen, auch die in der Vergangenheit häufig gespannten polnisch-ukrainischen Beziehungen spielen keine Rolle mehr.
Stattdessen debattieren die Polen, wie man den Ukrainern dabei helfen kann, endlich in einem wirklich demokratischen Staat zu leben. Zudem verfolgen sie ganz genau, wie die Nato, die EU, die USA, Großbritannien und insbesondere Deutschland auf die russische Invasion auf der Krim reagieren. Verachtung macht sich breit.
Kerzen im Fenster
Verachtung ist das für die westlichen Politiker, denen auch nach den vielen Toten auf dem Kiewer Maidan nur die Floskel von der „tiefen Besorgnis“ einfällt. Für die Politiker, die nach wie vor auf die Kreml-Propaganda reinfallen und die Freiheitsbewegung der Ukrainer „faschistisch“ nennen. Ganz tief gefallen in der Gunst der Polen ist in den letzten Tagen der US-amerikanische Präsident Barack Obama. Tausendfach teilten polnische Facebook-Nutzer im Internet eine böse Satire mit Obama- Konterfei: „Polen, ich verspreche Euch, dass ich im Falle einer russischen Aggression gegen Polen das ganze amerikanische Volk darum bitten werde, eine Kerze ins Fenster zu stellen – als unser Zeichen der Solidarität mit Euch.“
Auch die EU und die Nato werden vor allem mit Häme bedacht. Die Nato verteidige zwar am Hindukusch und in Afrika irgendwelche seltsamen Interessen, doch das Verteidigungsbündnis sei unfähig, seine ureigensten Interessen in Europa selbst zu verteidigen. Das hätten schon die Balkankriege gezeigt, dann der Georgienkrieg und nun der Ukraine-Konflikt. Die EU sei nichts weiter als eine Schwafelbude. Wahrscheinlich, so die vorherrschende Meinung in Polen, sei es den meisten Politikern in Berlin, Brüssel und London egal, wenn direkt an der EU-Ostgrenze Russland den nächstes Staat zertrümmere. Hauptsache die Kasse klingelt weiterhin.
3 Mar 2014
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Die USA verhängen Einreiseverbote gegen Russland und Krim-Bewohner. Die Halbinsel will per Referendum über ihre künftige Zugehörigkeit entscheiden.
Die EU ist sich offenbar nicht sicher, wie sie mit Russland in der Krim-Krise umgehen soll. Doch die Schuld nur bei Moskau zu suchen, wäre falsch.
Bewaffnete haben am Dienstag ukrainische Soldaten mit Warnschüssen von einer Basis auf der Krim verdrängt. Derweil wird US-Außenminister Kerry in Kiew erwartet.
Die Bundesregierung setzt im Krimkonflikt auf Dialog. Die Linke hingegen ist uneins, ob sie Russland für die Ukraine-Intervention verurteilen soll oder nicht.
In Moskau wird für eine gewaltsame Krim-Konflikt-Lösung demonstriert. Der Kreml bestellt Bürger zur Kundgebung ein und verhaftet Kriegsgegner.
Nach dem Sturz Janukowitschs ist in Lwiw vieles anders. Die Polizei ist abgetaucht. Die Bürger kümmern sich selbst um ihre Sicherheit.
Russland verstößt gegen das Völkerrecht. Der Militäreinsatz in der autonomen Teilrepublik Krim kann juristisch nicht gerechtfertigt werden.
Putin geht es nur vordergründig um die Krim. Er will den Machtwechsel in der Ukraine rückgängig machen. Und er scheint Merkel gut im Griff zu haben.
Sergej Axjonow ist der neue starke Mann auf der Halbinsel Krim. Er bat Wladimir Putin um Hilfe und strebt die Unabhängigkeit der Krim an.