taz.de -- Fragwürdige Prävention bei der Polizei: Wenn das Auto zurückguckt
Die Polizei in Schleswig-Holstein will für ihre Polizisten Videokameras in Einsatzwagen. Eine Geldverschwendung und rechtlich problematisch, sagen Kritiker.
HAMBURG taz | Vesa heißt das neue Ding in Schleswig-Holstein. 30 Polizeiautos wurden bereits mit diesen „Videoanlagen zur Eigensicherung“ ausgestattet. Die Kameras sollen, so die Idee des Innenministeriums, Gewalt gegen Polizisten eindämmen. Pro Auto kostet die Aufrüstung mit den kleinen Kameras, die hinter der Windschutzscheibe montiert werden, 1.800 bis 2.000 Euro. Insgesamt belaufen sich die Kosten für rund 600 Fahrzeugen auf rund eine Million Euro.
Begründet wird diese Maßnahme in der Antwort auf eine kleine Anfrage von Patrick Breyer (Piraten) an die schleswig-holsteinische Landesregierung so: „Wissenschaftliche Untersuchungen belegen die besondere Gefährlichkeit für polizeiliche Maßnahmen auf öffentlichen Wegen und Plätzen. Dies gilt insbesondere für die Verkehrskontrolle.“ Erkenntnisse darüber, „ob die Videokameras in einem anderen Bundesland zu einem statistisch signifikanten Rückgang der Gewalt gegen Polizeibeamte geführt haben“, gibt es nicht, heißt es weiter. In Niedersachsen winkt man gleich ab. „Wir haben keine Videoanlagen zur Eigensicherung in unseren Fahrzeugen und sehen auch überhaupt keinen Bedarf“, sagt eine Sprecherin der Innenministeriums.
Rechtlich kann Vesa problematisch werden. Denn die Aufnahme startet automatisch, sobald das Anhaltesignal auf dem Autodach eingeschaltet wird – also noch während der Fahrt. Vorher laufen die Bilder nur auf einem kleinen Monitor in der Sonnenblende des Beifahrersitzes auf, werden aber nicht gespeichert. „Das Filmen fahrender Fahrzeuge hat mit dem Schutz von Polizisten vor Gewalt nichts zu tun und ist deshalb rechtswidrig“, sagt Breyer. Gefilmt werde die Fahrbahn auf einer Breite von 20 Metern und „die Betroffenen werden meist unbemerkt gefilmt, obwohl das Gesetz eine Information vorschreibt“.
In der Dienstanweisung für die Polizisten heißt es dann auch, dass „rechtlich nur eine ’offene‘ Aufzeichnung erfolgen darf“ und „die oder der Betroffene zu Beginn der Kontrolle ausdrücklich auf den Einsatz des Videosystems hinzuweisen“ ist. Theoretisch müssten die Beamten also den Passanten auf der Straße zurufen, dass sie gerade gefilmt werden. „Illusorisch und unpraktikabel“, sagt Breyer.
Thilo Weichert vom Unabhängigen Datenschutzzentrum Schleswig-Holstein sagt, dass „Erkennbarkeit und Verhältnismäßigkeit gewährleistet sein müssen“. Es sei natürlich wünschenswert, sich vor dem Einsatz der Kameras über die Modalitäten zu verständigen. Das sei hier nicht passiert, aber die Gespräche laufen jetzt.
Beschlossen wurden die Kameras in den Polizeiautos bereits Ende 2012. Das Wissen, gefilmt zu werden, verhindere in vielen Fällen unangemessenes Verhalten, begründete damals der Sprecher des Landespolizeiamtes Schleswig-Holstein, Lothar Gahrmann, die Maßnahme. Blieb den Beleg jenseits von einzelnen Übergriffen auf Polizisten aber schuldig.
Nils Zurawski vom Institut für Kriminologie an der Uni Hamburg hält die Ausstattung der Fahrzeuge mit Kameras für eine undurchdachte Maßnahme. Schwierig werde es etwa, wenn in St. Peter Ording am Strand gefilmt werde. „Und der kolportierte Anstieg der Gewalt gegen Polizisten kann nicht verallgemeinert und als Grund für eine solche Überwachungsmaßnahme herangezogen werden“, sagt der Gründer des Forschungsnetzwerks Surveillance Studies. Ihm sei keine Studie bekannt, die belegt, dass Kameras vor Gewalt gegen Polizisten schützen. Allerdings könnten die Kameras disziplinierende Wirkung auf die Polizeibeamten haben, die ja ebenso wie die Kontrollierten gefilmt werden. Das wäre dann der positive Effekt der Kameras.
10 Mar 2014
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