taz.de -- Kolumne Nullen und Einsen: Der vergessene Gopherspace

Alle feiern den 25. Geburtstag des World Wide Web, denn den Gewinnern der Geschichte gratuliert man gerne. Und was ist mit den Verlierern?
Bild: Opfer des Datenwahnsinns: das Erdhörnchen.

Täteretäää: Am 12. März feiert die Medienwelt den 25. Geburtstag des World Wide Web, zeit.de [1][zeigt Meilensteine], Spiegel Online [2][interviewt den Erfinder] Tim Berners-Lee, stern.de erinnert daran, dass Bill Gates das WWW am Anfang nur [3][für „einen Hype“ hielt] und Die Presse [4][bringt eine Klickstrecke] mit schrägen Zitaten und groben Fehlprognosen. Prost!

Das ist ein wenig putzig, denn am 12. März 1989 ging das WWW ja gar nicht online, damals veröffentlichte Tim Berners-Lee lediglich sein Ideenpapier [5][„Information Management: A Proposal“] am Genfer CERN. Es ist also in etwa so, als würden wir Menschen unseren Geburtstag am Tag unserer Zeugung feiern. Oder am Tag des Heiratsantrags unserer Eltern. Oder bei ihrem ersten Kuss. Oder ihrer Facebook-Freundschaftsanfrage.

Anyway: Feiern wir also das WWW, es gibt ja genügend Gründe, und erinnern nochmal daran, dass das WWW ja nicht „das Internet“ ist, sondern nur eine mögliche Darstellungsform von digitalen Inhalten, also „ein über das Internet abrufbares System von elektronischen Hypertext-Dokumenten“ ([6][Wikipedia]) mit einem Protokoll, HTTP nämlich. Dass es irgendwann quasi synonym zum Internet würde, war 1991, als das WWW dann wirklich online ging, gar nicht gesichert.

Denn es gab Alternativen. Eine davon war [7][Gopher], ein Informationsdienst, der an der Universität von Minnesota entwickelt wurde. In den Neunzigern gab es einen funktionierenden Gopherspace, doch spätetens mit der Ankündigung, für dessen kommerzielle Nutzung Gebühren zu erheben, war dessen Nischendasein besiegelt, inzwischen ist er verwaist und vergessen.

Der Aufstieg des WWW war also nur möglich durch den Tod eines Erdhörnchens (engl. gopher). Das rückt auch [8][das Mark Zuckerberg nachgesagte Zitat] „A squirrel dying in front of your house may be more relevant to your interests right now than people dying in Africa“ in ein ganz anderes Licht. Denkt mal darüber nach!

12 Mar 2014

LINKS

[1] http://www.zeit.de/digital/internet/2014-03/www-25-jahre-geschichte-meilensteine
[2] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/tim-berners-lee-ueber-das-internet-und-25-jahre-www-a-957978.html
[3] http://www.stern.de/digital/online/25-jahre-world-wide-web-als-bill-gates-das-internet-noch-fuer-einen-hype-hielt-2096055.html
[4] http://diepresse.com/home/techscience/internet/1573758/25-Jahre-WWW_Schraege-Zitate-grobe-Fehlprognosen?_vl_backlink=/home/index.do
[5] http://www.w3.org/History/1989/proposal.html
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/World_Wide_Web
[7] http://en.wikipedia.org/wiki/Gopher_(protocol)
[8] http://www.brainyquote.com/quotes/quotes/m/markzucker416520.html

AUTOREN

Michael Brake

TAGS

Internet
Geburtstag
Netzneutralität
No-Spy-Abkommen
Skype

ARTIKEL ZUM THEMA

Internet-Konferenz „LeWeb“ in Paris: Netzneutralität ist Weltfrieden

Tim Berners-Lee hat die Grundlagen des WWW gelegt. Er sieht das vom EuGH ausgesprochene „Recht auf Vergessen“ skeptisch und setzt sich für ein offenes Netz ein.

Kolumne Nullen und Einsen: Hot dogs are always good!

Vor vier Wochen rief Frank-Walter Steinmeier den deutsch-amerikanischen Cyberdialog aus. Eine Zwischenbilanz mit Twin Peaks, Spritz und einer Katze.

10 Jahre Skype: „Hörst Du mich?“

Skype wird zehn Jahre alt. Millionen Menschen telefonieren über den Computer miteinander – und fluchen über die Verbindungsqualität.

Geburtstag der Emoticons: 30 Jahre Zeichenzoo

Am 19. September 1982 lernten die Satzzeichen lachen. Heute können Emoticons noch viele Sachen mehr. Wir hätten aber noch ein paar Wünsche.

20 Jahre World Wide Web: Huch, sind wir schon so lange drin?

Der Start des WWW vor 20 Jahren war der Beginn des Internets für alle. Welche Fakten kann man bei einem Gespräch zum Jubiläum kenntnisreich nennen?

10 Jahre Wikipedia: Wie das Wissen System bekommt

Wikipedia ist nicht nur ein Nachschlagewerk, sondern auch eine Datenbank der Informationen. Mit semantischen Techniken versuchen Forscher den Wissensschatz zu heben.

Reaktionen auf Tim Berners-Lees Netzessay: Die Gefährder des World Wide Web

Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web, hat Facebook, Google und Apple ungewöhnlich scharf kritisiert – sie bedrohten die Zukunft des Netzes. Dafür gibt es reichlich Beifall.