taz.de -- Ziviler Widerstand in Syrien: Sie trotzen dem Krieg und der Angst

In Syrien gibt es keine nationale Demokratiebewegung, die das Regime stürzen könnte. Aber vielerorts engagieren sich die Bürger nachbarschaftlich.
Bild: Auszeit vom Bürgerkrieg: Ein Mädchen schaukelt in Damaskus

BERLIN taz | Drei Jahre nach den ersten friedlichen Protesten scheint Syrien nur noch aus Dschihadisten, Islamisten, Flüchtlingen und zivilen Opfern zu bestehen: Wir lesen von Bürgerkrieg und Al-Qaida-Terroristen, von Stellvertreterkrieg, Waffenlieferungen und deutschen Salafisten, von Vertriebenen, verhungernden Kindern und Fassbomben.

Wo sind die Hunderttausenden Demonstranten geblieben, die im Sommer 2011 auf den Straßen von Hama, Deir ez-Zor und Homs nach Freiheit und Würde riefen? Was ist aus den Aktivisten geworden, die Plakate malten, Wackelvideos filmten und in Sprechchören die Einheit des syrischen Volkes beschworen? Sie sind, könnte man meinen, verschwunden, tot, vertrieben, besiegt oder mindestens bedeutungslos. Aber das stimmt nur zum Teil.

Viele der einstigen Revolutionäre arbeiten weiter für ihre Vision eines demokratischen, freien Syriens. In Erbin zum Beispiel, einem Vorort von Damaskus, betreiben Aktivisten einen Kulturtreff mit kleiner Bibliothek und Internetzugang, in dem Workshops, Englischunterricht und Medientraining stattfinden. Hier treffen sich auch die örtlichen Apotheker, um den Medikamentennachschub zu organisieren. In Zabadani und einigen anderen Städten geben engagierte Bürger eigene Zeitungen heraus. In der südlichen Provinz Daraa werden verwaiste Schulen wieder in Betrieb genommen und Lehrpläne umgeschrieben.

Im abgeriegelten Palästinensercamp Jarmuk musizieren und singen Aktivisten gegen die Blockade und den Hunger an. In Atareb bei Aleppo übermalen sie extremistische Parolen an Hauswänden. Und in Douma nordöstlich von Damaskus dokumentieren sie die Menschenrechtsverletzungen aller Kriegsparteien.

Schonungslos und scharfsinnig

Wer wissen will, was Syriens ziviler Widerstand denkt und fühlt, kann dies auf den bunten englischsprachigen Plakaten von Kafranbel nachlesen – jener staubigen Ortschaft südlich von Idlib, in denen Aktivisten allwöchentlich schonungslos und scharfsinnig die internationale Syrienpolitik kommentieren.

Nach wie vor hat jeder Freitag in Syrien ein Motto und noch immer wird demonstriert. Mal sind es Dutzende, mal Hunderte, die Hunger, Kälte und schlechtem Wetter trotzen und gegen das Regime oder gegen die Extremistengruppe Islamischer Staat im Irak und in der Levante (Isil) auf die Straße gehen. Diese Proteste sind zahlenmäßig unbedeutend, aber sie zeigen, dass politisches Bewusstsein und kritisches Denken vielerorts in Syrien Wurzeln geschlagen haben.

Eine nationale Demokratiebewegung wird daraus in Kriegszeiten nicht erwachsen. Was wir in Syrien sehen, sind vielmehr Keimzellen des zivilen Engagements. Da die syrische Revolution auf dem Land begann und eine dezentrale, föderale Bewegung blieb, finden sich diese Keimzellen vor allem in der Provinz und im Umland der großen Städte. Sie bestehen aus vielen kleinen, örtlich begrenzten Initiativen, die zwar nicht das Regime in Damaskus stürzen können, aber den Boden für eine pluralistische Zukunft bereiten.

Für den Alltag der Menschen sind diese Projekte wichtiger als das, was die Nationale Koalition in Genf verhandelt oder der Weltsicherheitsrat in New York erörtert. Umso tragischer, dass die zivilen Kräfte in Syrien neben dem Assad-Regime inzwischen zwei weitere Feinde haben. Die Not zwingt die Menschen, alle Energie darauf zu verwenden, Lebensmittel zu schmuggeln und Verletzte zu versorgen. Und die Schreckensherrschaft von Isil in Teilen des Nordostens zwingt sie unterzutauchen oder das Land vorübergehend zu verlassen.

Mit Enthauptung gedroht

So erging es zum Beispiel den Aktivisten von Manbidsch, einer Stadt nordöstlich von Aleppo, in der es einen Revolutionsrat, eine freie Handelskammer und mehrere Zeitungen gab. Die gleichen Leute, die dort ein Zentrum für Zivilgesellschaft aufbauten und zwei Kulturfestivals organisierten, stehen seit der Machtübernahme durch Isil im Januar auf deren Fahndungsliste. Da ihnen die Extremisten auf Facebook mit Enthauptung drohen, sind sie geflohen.

Willkürlich herrschende Gotteskrieger, dauerhafter Raketenbeschuss und systematisches Aushungern – wer in solchem Klima über Frauenrechte debattiert, Seminare zur Traumabewältigung abhält und Kriegsverbrechen dokumentiert, lässt sich auch in Friedenszeiten nicht mehr bevormunden.

Schon jetzt ist das politische Bewusstsein in Orten wie Kafranbel, Manbidsch und Erbin ausgeprägter als im Zentrum von Damaskus. Was auf den ersten Blick als Schwäche erscheinen mag – das Fehlen einer einheitlichen Demokratiebewegung –, könnte langfristig von Vorteil sein: Für den Aufbau eines Rechtsstaats in einem ethnisch wie konfessionell so vielfältigen Land wie Syrien braucht es überall kritische, selbstbewusste und tolerante Bürger.

14 Mar 2014

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Helberg

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