taz.de -- Krise in der Ukraine: Russland hält sich alles offen

Der russische Präsident Putin warnt vor einer gefährlichen Zuspitzung der Lage im Osten des Landes. Er sieht auch die Krisengespräche in Genf dadurch in Gefahr.
Bild: Ein prorussischer Aktivist vor einer Barrikade im Osten des Landes.

KIEW/MOSKAU dpa | Russland hat nach dem Beginn der Offensive gegen prorussische Separatisten in der Ostukraine vor einer gefährlichen Zuspitzung der Krise gewarnt. Die scharfe Eskalation des Konflikts habe das Land an den Rand eines Bürgerkrieges gebracht, sagte Präsident Wladimir Putin nach Angaben der Regierung in Moskau am Dienstagabend in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Auch in einem Gespräch mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kritisierte der Kremlchef den zuvor gestarteten Einsatz ukrainischer Truppen. Moskau warnte vor einem Scheitern der für Donnerstag geplanten Krisengespräche in Genf.

Der ukrainische Interimspräsident Alexander Turtschinow hatte den Beginn des sogenannten „Anti-Terror-Einsatzes“ am Dienstag im Parlament in Kiew verkündet. Ziel des Vorrückens sei der „Schutz der Bürger vor Terroristen, die das Land zerreißen wollen“. Russland hatte vor solch einem Schritt gewarnt. Die USA verteidigten das Vorgehen der Kiewer Regierung.

In mehreren Orten der Ostukraine halten moskautreue Separatisten seit Tagen Verwaltungsgebäude besetzt. Sie fordern einen föderalen Staat mit weitgehenden Autonomierechten für das russisch geprägte Gebiet.

China ruft zur Zurückhaltung auf

China zeigte sich über die Eskalation besorgt und rief alle Seiten zur Zurückhaltung auf. Vizeaußenminister Li Baodong sprach am Mittwoch von einer „unglückliche Entwicklung“. China setze sich für einen internationalen Kooperationsmechanismus ein, sagte Li Baodong mit Blick auf den Genfer Krisengipfel. Er sprach am Mittwoch in Peking mit dem Vorsitzenden der Unionsfraktion, Volker Kauder.

Aus dem Bundespresseamt hieß es zu dem Gespräch zwischen Putin und Merkel, die Situation in der Ukraine sei ausführlich erörtert worden. Bei aller unterschiedlichen Bewertung der Ereignisse habe die Vorbereitung des Treffens in Genf im Mittelpunkt gestanden.

Dort wollen die Außenminister Russlands, der USA und der Ukraine zusammen mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton über Möglichkeiten einer diplomatischen Lösung der Krise beraten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier appellierte an die Teilnehmer, das Treffen zu nutzen. „Ein Scheitern ist nicht erlaubt“, sagte er der Rheinischen Post.

Zu Schusswechseln zwischen ukrainischen Einheiten und moskautreuen Aktivisten kam es in der Nähe der Städte Kramatorsk und Slawjansk im Verwaltungsgebiet Donezk. Nach schweren Gefechten hätten Regierungseinheiten den Flugplatz von Kramatorsk unter ihre Kontrolle gebracht, sagte Turtschinow. Das russische Staatsfernsehen berichtete von mindestens vier Toten. Die moskautreuen Aktivisten sprachen von einem Verletzten in ihren Reihen. Eine offizielle Bestätigung für die Opferzahlen gab es zunächst nicht.

Putin forderte laut Kreml von UN-Generalsekretär Ban, die Vereinten Nationen müssten das „verfassungswidrige Vorgehen“ der Machthaber in Kiew verurteilen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach bei einem Besuch in Peking von einer „Verletzung ukrainischer Rechtsnormen und des Völkerrechts“.

Die USA verurteilen die russischen „Provokationen“

US-Regierungssprecher Jay Carney sagte hingegen: „Die ukrainische Regierung hat die Verantwortung, Recht und Ordnung herzustellen.“ Die „Provokationen“ prorussischer Kräfte „schaffen eine Situation, in der die Regierung handeln muss“. Er bezeichnete die Eskalation als „sehr gefährlich“.

Die USA haben Russland mehrfach beschuldigt, in dessen Nachbarland politische Unruhen zu befeuern. Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), sagte der Passauer Neuen Presse, die gute Organisation und Ausrüstung der Milizen in den Städten deuteten auf russische Herkunft hin.

Vor einer Entscheidung über mögliche weitere Sanktionen gegen Russland wollen die USA zunächst die Genfer Gespräche abwarten. Die New York Times berichtete, Washington prüfe unter anderem, einen engen Putin-Vertrauten auf die Sanktionsliste zu setzen. Es handele sich um Igor Setschin, Chef der staatlichen Ölgesellschaft Rosneft.

Nach Ansicht des luxemburgischen Europapolitikers Jean-Claude Juncker zeigen die bislang von der EU gegen Russland verhängten Sanktionen Wirkung. „Man weiß ja jetzt schon, was es an Kapitalabfluss aus Russland in den vergangenen Wochen und Tagen gegeben hat. Das geht nicht wirkungslos an Russland vorbei“, sagte Juncker der Nachrichtenagentur dpa in Straßburg. Der frühere luxemburgische Ministerpräsident ist Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) für die Europawahl Ende Mai.

Bisher verhängte die EU wegen der Annexion der Krim durch Russland Kontensperrungen und Einreiseverbote gegen Einzelpersonen. Über neue Wirtschaftssanktionen wurde noch nicht entschieden.

16 Apr 2014

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