taz.de -- Kommentar Deutschland – Ghana: Disparater Stoff

Das deutsche Team ist derzeit im Grenzbereich zwischen Genie und Wahnsinn heimisch. Kreative Kontrolle kann jederzeit ins blanke Chaos führen.
Bild: Vieles spricht dafür, dass die deutsche Nationalmannschaft mit dem Spiel gegen Ghana einen weiteren Schritt nach vorn gemacht hat

Es war ein [1][opulentes Spiel]. Mit Sicherheit nicht das beste, aber das reichhaltigste, das diese WM bislang zu bieten hatte. Erst gähnenden Langeweile, dann mitreißende Spannung, Chancen und Fehler in ungekannten Größenordnungen, erstaunlich starke und erschreckend schwache Momente. Aus deutscher Sicht lieferte das Aufeinandertreffen zwischen dem DFB-Team und Ghana derart disparaten Stoff, das sich aus dem Remis zwei völlig widersprechende Schlussfolgerungen aufdrängen.

Zum einen spricht vieles dafür, dass die zuweilen behäbige deutsche Defensive bei dieser WM wie schon vor zwei Jahren bei der Europameisterschaft im entscheidenden Moment wieder einmal überrannt wird. Möglicherweise wieder wie 2012 begünstigt von einem Wechselfehler von Joachim Löw. Denn hätten die Deutschen am Samstagabend gegen Ghana verloren, wäre dem Bundestrainer gewiss nicht die Debatte erspart geblieben, warum er für den angeschlagenen Jerome Boateng nicht Philipp Lahm auf die Außenposition versetzte, sondern den unerfahrenen und entsprechend leicht verunsicherbaren Shkodran Mustafi ins Spiel brachte.

Löw hält Lahm im defensiven Mittelfeld offenbar für unersetzlich. Ein Dogma, das ihm angesichts seiner Alternativen auf der Außenbahn auf die Füße fallen könnte. Zum anderen spricht aber auch vieles dafür, dass die Nationalmannschaft nach dem Portugalspiel einen weiteren Schritt nach vorn gemacht hat.

Löw musste in dem Turnier nicht nur erstmals auf einen Rückstand reagieren, sondern auch auf die mangelnde Durchschlagskraft der deutschen Offensive. Er tat dies ganz undogmatisch, indem er mit Stoßstürmer Miroslav Klose dem deutschen Angriffsspiel eine andere Dimension gab. Dass die Maßnahme von Erfolg gekrönt war, stärkt das Vertrauen in die eigene Variabilität. Das dürfte von großer Bedeutung für die nächsten Begegnungen sein.

Die beiden möglichen Lesarten dieses Spiels offenbaren mehr denn je: das deutsche Team ist im Grenzbereich zwischen Genie und Wahnsinn heimisch. Maßgeblich hat das mit den offensiven Stärken und den defensiven Schwächen zu tun.

Auch Benedikt Höwedes lässt sich auf der linken Seite allzu leicht düpieren. Aus dem Spiel der kreativen Kontrolle kann jederzeit das blanke Chaos entstehen. Die Wahrscheinlichkeit erhöht sich immens, wenn wie bei der gestrigen Partie plötzlich beide Teams das Risiko suchen. Unterhaltsam ist all das in jedem Falle. Man darf sich auf die nächsten Spiele freuen.

22 Jun 2014

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Johannes Kopp

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