taz.de -- Kommentar WM-Achtelfinalbilanz: Das Cafetero-Kollektiv

Die Favoriten erreichen das Viertelfinale mit Mühe. Nur Kolumbien überzeugt. Das Team hat viele Stärken, darunter eine, die es zum Favoriten macht.
Bild: Belgier im Glück: die Torschützen Kevin de Bruyne und Romelu Lukaku.

Überzeugt haben sie nicht. Trotzdem stehen erstmals in der Geschichte der Fußballweltmeisterschaften alle Gruppensieger im Achtelfinale. Als letztes Team zog Belgien mit einem knappen 2:1-Sieg gegen die USA nach Verlängerung in die Runde der letzten Acht ein. Auch die Partien Deutschland – Algerien (2:1 n.V.) und Argentinien – Schweiz (1:0 n.V.) waren erst nach 120 Minuten entschieden.

Brasilien konnte sich erst im Elfmeterschießen gegen Chile (3:2, 1:1, 0:0) durchsetzen, ebenso wie die Überraschungsmannschaft aus Costa Rica gegen Griechenland (5:3, 1:1 ,1:0). Die Spiele waren alle knapp. In sechs der Partien fiel bis zur Halbzeit kein einziger Treffer. Vor allem die großen Favoriten Brasilien, Argentinien und Deutschland boten – wie schon in der Vorrunde – in den Achtelfinalspielen teilweise bedenkliche Leistungen.

Der Gastgeber und Argentinien sind zu sehr von ihren Superstars Neymar und Messi abhängig. Beide haben allerdings in den entscheidenden Momenten Tore geschossen oder eingeleitet: Neymar verwandelte den letzten Elfmeter gegen die starken Chilenen. Messi, der gegen die Schweizer kaum zu sehen war, bereitete kurz vor Ende der Verlängerung das 1:0 Ángel Di Marías vor.

Und Deutschland fehlt offenbar die Möglichkeit, sein System umzustellen, wenn das Spiel gegen robuste und gut organisierte Mannschaften wie Algerien mal nicht läuft. Die Niederlande drehten das Spiel gegen Mexiko nach schwacher erster Halbzeit erst kurz vor Abpfiff: Klaas-Jan Huntelaar verwandelte in der 4. Minute der Nachspielzeit einen Foulelfmeter zum 2:1 (0:0). Auch Frankreich (2:0 gegen Nigeria) und Kolumbien (2:0 gegen Uruguay) konnten ihre Partien in der regulären Spielzeit gewinnen.

Während das junge französische Team eher glücklich siegte, ist Kolumbien das einzige noch im Turnier verbliebene Team, das bislang konstant guten Fußball gespielt hat. Und das gilt für alle Bereiche: technisch, taktisch, physisch. Hinten hält der älteste Feldspieler des Turniers, der 38-jährige Kapitän Mario Yepes, den Laden dicht – und sie haben in dem 22-jährigen James Rodríguez den zurzeit besten Stürmer und Torschützen des Turniers in ihren Reihen.

Außerdem spielen „Los Cafeteros“ mit einer beeindruckenden mannschaftlichen Geschlossenheit: ein Kollektiv, in dem jeder für jeden spielt und kämpft. Wenn die so weitermachen, ist das Turnier für Brasilien nach dem Viertelfinale beendet – und der WM-Traum der kolumbianischen Fußball- und Frisurikone Carlos Valderrama wird wahr.

2 Jul 2014

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Patrick Loewenstein

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