taz.de -- Rundgang durch die Künste: Junge Radikale

Am Wochenende öffnen Ateliers und Arbeitsräume der Universität der Künste und der Kunsthochschule Weißensee ihre Türen.
Bild: Achtung, das ist Kunst: beim Rundgang in der Kunsthochschule Weißensee 2013.

Rundgang ist so ziemlich das falscheste Wort für diese alljährliche Lieblingsbeschäftigung der Berliner Kunstfreunde. Sowohl die Universität der Künste (UdK) an der Hardenbergstraße in Charlottenburg als auch die Kunsthochschule Weißensee im Norden der Stadt sind nachweisbar Rechtecke. Und immer nur im Kreis drehen will sich garantiert auch niemand, der sich am Wochenende dorthin aufmacht. Im Gegenteil: Zu den Rundgängen der Kunsthochschulen geht man gerade deswegen, weil man auf dem Terrain des künstlerischen Nachwuchses noch am ehesten auf Kunst und Künstler hofft, die die ausgetretenen Bahnen der künstlerischen Produktion verlassen.

Die Plakatdesigner in Weißensee haben diese unterstellte Avantgardeposition für ihr Haus in diesem Jahr recht vollmundig reklamiert. Auf einem der diesjährigen Ankündigungsplakate haben sie den Namen der Londoner Modedesignerin Vivienne Westwood durchgestrichen und „New Radicals“ darunter geschrieben. Und die illustre Reihe von Städtenamen wie „Paris, Mailand, London, New York“ selbstbewusst durch „Weißensee“ ergänzt. Ob die Kunst, die dort zu sehen sein wird, das Eigenlob rechtfertigt, wird sich erst am Wochenende zeigen.

Zumindest die Atmosphäre freifließender Kreativität und entspannten Flanierens in den Ateliers und Werkstätten während der Rundgangstage ist mit kaum einem Berliner Ausstellungsereignis zu vergleichen. Die Spannweite der Selbsteinschätzung der Häuser wie auch ihrer Bewohner – zwischen Kaderschmiede der nächsten Kunstelite und marktferner Kreativwerkstatt – komplettiert das Plakatmotiv der UdK: Der südkoreanische Student Young Sam Kim aus der Klasse Visuelle Systeme des Informationsgestalters David Skopec hat es aus rohen Magnetbändern gestaltet.

Bislang fand der Rundgang in dem 1902 erbauten neobarocken Prachtpalais des Charlottenburger Zentrums der UdK das größte Interesse. Nicht nur, weil die 1696 beziehungsweise 1875 gegründete Uni Europas größte Kunsthochschule ist. Weil hier mit Malerei, Bildhauerei und Architektur ihre Herzkammer schlägt und hier der kreative Nachwuchs lauert. Sondern auch, weil hier namhafte Professorinnen lehren: Olafur Eliasson mit seinem „Studio für Raumexperimente“ oder die Medienkünstlerin Hito Steyerl, die mit ihren kritischen Videos und Lectures in den letzten Jahren zum Star vieler Biennalen avancierte. Aber auch bei der japanisch-schweizerischen Grafikerin und Bildhauerin Leiko Ikemura schaut man immer interessiert, ob und wie es deren Meisterschülerinnen gelingt, sich neben ihren markanten Professorinnen zu behaupten.

An der UdK vollzieht sich schrittweise ein Generationenwechsel. In diesem Jahr verlässt Christiane Möbus ihre Professur für Bildhauerei und Multimedia, die sie seit 1990 innehat. Schon am Vorabend des Rundgangs am gestrigen Donnerstag lud die 1947 geborene, international bekannte Objektkünstlerin, deren Arbeiten auch im Bundestag hängen, zum letzten Mal zu der schon traditionellen Feier in ihr Atelier im Raum 79 des UdK-Hauptgebäudes ein. Vom Fenster ihres Ateliers kann Möbus den Besuchern des „Hoffestes“ der UdK in dem begrünten Innenhof zuprosten. Das beginnt zur gleichen Zeit und zählt seit Langem zu einem der coolsten Ausgehtipps für Berlins hippe Kunst-, Kreativ- und Styleaffine.

Die Kunsthochschule Weißensee stand bislang immer etwas im Schatten der großen Schwester am Zoo. Doch seit ein paar Jahren drängen immer mehr Besucher in den unscheinbaren Klinkerbau an der Bühringstraße. Seit 2011 hat das 1946 in der Tradition des Bauhauses gegründete Haus mit Leonie Baumann eine dynamische Rektorin. Die vor Kurzem wiedergewählte Pädagogin ist nicht nur eine stadtweit gefragte Streiterin für progressive Kulturpolitik. Auch mit Projekten wie der 2011 gegründeten „Kunsthalle am Hamburger Platz“ hat sie ihrem Haus mehr Aufmerksamkeit verschafft.

Das alte DDR-Kaufhaus, unmittelbar am Eingang der Hochschule gelegen, fungiert heute als „lab for tomorrow“ und Schnittstelle zwischen Hochschule und freier künstlerischer Praxis. Auch Weißensee hat illustre Namen zu bieten: Hier lehren die Konzeptkünstlerin Alice Creischer „Raumstrategien“ und der Philosoph Knut Ebeling Medientheorie und Ästhetik.

Die weit im Norden der Stadt gelegene Hochschule kommt dem verwöhnten Berliner Publikum spektakulär entgegen, als sie zwar in Weißensee ihre Ateliers und den Campus öffnet, ihre Renommierstücke aber in Mitte präsentiert. Zu den Höhepunkten in Weißensee gehören die Präsentation von Arbeiten des Projekts „Kommen und Bleiben“, das Studenten der Visuellen Kommunikation mit Flüchtlingen in Pankow gemacht haben. Und wenn die Besucher die Eingangshalle in Weißensee betreten, können sie sich durch einen Tunnel aus Lichtkästen bewegen. Darin können sie Bühnenbilder bewundern, die junge Bühnen- und Kostümbilder für den Roman „Karte und Gebiet“ des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq entworfen haben.

Die Abschlussarbeiten der Studenten aber präsentieren die Weißenseer an dem alten Kühlhaus am Gleisdreieck in Tiergarten und einer ehemaligen DDR-Kaufhalle und jetzigem „Eventspace“ namens „HO“ am U- und S-Bahnhof Jannowitzbrücke – unter dem passenden Titel „Reif“ und „Aller Ende Anfang“. Die Abschlussarbeiten der UdK-Meisterschüler werden in der zentralen Halle des Charlottenburger Baus präsentiert. In beiden Events spiegelt sich der für alle Rundgänge an allen Kunsthochschulen auf der ganzen Welt typische Wunsch: dass hier womöglich die Kunststars von morgen entdeckt werden. „Germanys next Top-Artist“ steht auf einem der Weißenseer Plakate . Der Name von Ai Weiwei ist durchgestrichen. Zumindest an Selbstbewusstsein mangelt es dem Nachwuchs nicht.

17 Jul 2014

AUTOREN

Ingo Arend

TAGS

Bildende Künstler
Paris
Ausstellung
Politische Kunst

ARTIKEL ZUM THEMA

Kunsthochschulen laden zum Rundgang: Kauft Kunst!

Was macht eigentlich der Nachwuchs? Umschauen in der Kunsthochschule Weißensee kann man sich am Wochenende und nächste Woche in der UdK.

Multimediale Porträts von Oscar Muñoz: Ein Meister des Vergänglichen

Der kolumbianische Multimediakünstler Oscar Muñoz erstellt Porträts, die so schnell wieder verschwinden, wie sie erschienen sind.

Ausstellung „No Country for Young Men“: Tod eines Mythos

Die Ausstellung „No Country for Young Men“ im Brüsseler Kunstpalast Bozar zeigt Arbeiten griechischer Künstler. Sie reagieren auf die Krise in ihrem Land.

Politisches Kunstprojekt: Eine neue Work-Life-Balance

In Thessaloniki fragt das deutsch-griechische Kunstprojekt „Tempus Ritualis“ nach neuen Formen der Vergemeinschaftung in Zeiten der politischen Krise.